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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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und sagte sich, dass es nur die Stimmen von Tieren waren. Er schloss die Augen und versuchte zu schlafen.
    Dies ist die Isla Maldita, flüsterte die Abuelita. Wer weiß, ob der, der dort einschläft, je wieder erwacht! Hast du nicht gesehen, dass der Wald hier tiefer und dunkler ist als auf den anderen Inseln? Sie lauern darin, sie schleichen sich näher, gerade in dieser Minute schleichen sie sich an …
    »Wer denn?«, murmelte José schlaftrunken.
    »Ich weiß nicht«, flüsterte Marit. »Aber sie kommen näher!«
    Er fuhr hoch. Marit hatte seinen Arm umklammert und starrte in die Dunkelheit. Der Mond war abhandengekommen, die schmale Sichel des letzten Tages hatte sich nun ganz aufgelöst. Im fahlen Licht der Sterne sah José, was Marit meinte: Etwas kam aus dem Wald, etwas Geducktes. Menschen, die auf allen vieren näher krochen. Ein ganzes Dutzend. José schüttelte sich. Nein. Es waren keine Menschen. Maschinen, dachte José. Es war eine seltsam plumpe Sorte von Maschinen, die sich über den Strand bewegte, etwas, das die Deutschen erfunden hatten, aber wozu? War dies das Geheimnis der Isla Maldita? Er stand auf, näherte sich einer von ihnen, vorsichtig, Schritt für Schritt. Doch seine Schritte waren unstet und müde. Und so stolperte er im Dunkeln und schlug der Länge nach hin. Er wollte nicht schreien, es war dumm zu schreien, aber er schrie. Er war zu erschöpft und die Nacht war zu dunkel, und er hatte zu viele Geschichten über die Isla Maldita gehört und über die Deutschen und ihren Krieg.
    Dann blickte er in ein uraltes Gesicht, das sich über ihn beugte. Ein Gesicht auf einem faltigen Hals, ein Gesicht mit seltsam menschlichen Augen. Josés Anspannung löste sich und er brach in ein hysterisches Lachen aus. »Es ist … Es sind … Schildkröten!«, sagte er.
    Da lachte auch Marit. Die Schildkröte vor José zog den Kopf ein Stück ein. Vermutlich war sie noch nie Wesen begegnet, die so abnorme Geräusche von sich gaben.
    »Ich hatte es vergessen«, sagte Marit. »Dass es sie gibt. Dass sie so unglaublich groß sind. In Mamas Buch stand, ein Mensch könne sich im hohlen Panzer einer toten Schildkröte verstecken. Und dass sie absolut friedlich sind.«
    José knurrte. »Natürlich. Es gibt sie auch auf Isabela. Aber ich bin ihnen nie nachts begegnet. Warum schlafen sie nachts nicht? Schildkröten haben nachts zu schlafen.«
    »Vielleicht schlafwandeln sie«, meinte Marit. »So wie ich manchmal.«
    »Nein«, sagte José ärgerlich. »Das Biest, vor dem ich im Sand gelandet bin, war wach. Es hat mich angesehen. Und ich glaube, es hat gegrinst.«
    Er legte sich wieder in den Sand, schloss die Augen und schlief endlich fest ein.
    Als er das nächste Mal erwachte, geschah es, weil Uwe an seinem bloßen Unterarm kratzte.
    »Marit«, murmelte er. »Ich glaube, dein Leguan kann nicht schlafen. Marit?«
    Aber der Platz neben ihm war leer. José setzte sich auf und versuchte ganz wach zu werden. Er starrte den Abdruck im Sand an und hatte das seltsame Gefühl, wieder auf Santiago zu sein. Dort hatte er einen ähnlichen Abdruck angestarrt – in jener Nacht, in der er herausgefunden hatte, dass Casaflora für die Deutschen arbeitete.
    Vielleicht schlafwandeln sie, hörte er Marit wieder sagen. So wie ich manchmal … Er sah sich um. Hielt einer von Marits Träumen sie gefangen? Er musste sie finden. Sie war dazu imstande, direkt in das schwarze Wasser zurückzulaufen. Wie seltsam, dachte er. Mal war sie eine jüngere Schwester, um die man sich kümmern musste, und mal eine ältere, die sich um ihn kümmerte. Aber die Träume, die sie träumte, waren stets die gleichen.
    »Ich wünschte«, wisperte er Uwe zu, »ich könnte sie an ihrer Stelle träumen. Vielleicht wäre ich dann wirklich ein Held.«
    In dem Moment, als er das sagte, sah er sie. Sie war zwischen den niedrigen Büschen unterwegs ins Innere der Insel.
    Er sprang auf und lief über den Strand, vorbei an zwei Riesenschildkröten, die jetzt in ihren Panzern zu schlafen schienen.
    »Marit!«, rief José leise, doch sie drehte sich nicht um. »Marit, bleib stehen!«
    Er arbeitete sich durch Dornen und Äste voran, aber es war seltsam: Er kam ihr nicht näher. Der Abstand zwischen ihnen schien immer gleich zu bleiben. Oder bildete er sich das ein? Marits Schatten vor ihm bewegte sich durch höheres und höheres Gestrüpp, schließlich sah er den Schatten nur noch von Zeit zu Zeit auftauchen. Wie lange folgte er ihr schon über die Insel? Ein paar

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