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Die geheime Sammlung

Die geheime Sammlung

Titel: Die geheime Sammlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Shulman
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in sich hinein. »Ach, die russische Familie ist mir ein bisschen peinlich. Ich behalte sie, um mich daran zu erinnern, dass jeder mal Fehler macht.« Sie nahm eine Holzpuppe, die wie ein Kegel geformt war, und drehte sie in der Mitte. Die Puppe ließ sich auseinandernehmen. Eine kleinere, genauso aussehende Version steckte darin, die sich wiederum auseinandernehmen ließ. »Seht ihr?«, sagte Ms.Badwin und nahm die Puppen auseinander, bis alle fünf nebeneinanderstanden. »Der Händler in Leningrad hat mir geschworen, dass die kleine Puppe hier Anastasia sei, die jüngste Tochter des letzten Zaren. Das war lange, bevor man Anastasias Leichnam identifiziert hat. Natürlich habe ich ihm nicht wirklich geglaubt, aber ich
wollte
es glauben, also bin ich das Risiko eingegangen. Ich habe dreitausend Dollar für diese fünf Puppen bezahlt. Dollar! Harte Währung! Natürlich wäre die echte Anastasia tausendmal so viel wert gewesen. In Westberlin hat man mich ausgelacht. Es ist natürlich eine Fälschung, wenn auch eine ziemlich raffinierte. Das Blau der Augen ist genau das von königlichen Familien. Ich vermute, dass sie tatsächlich entfernt mit den Romanows verwandt ist. Du hast mich reingelegt, junges Fräulein!« Sie nahm die kleinste Puppe in die Hand und wedelte mit erhobenem Zeigefinger vor ihrem Gesicht herum, danach steckte sie alle Puppen wieder ineinander.
    Jaya wäre beinahe geplatzt. Ich packte sie am Handgelenk und drückte es fest, damit sie ruhig blieb.
    »Also ehrlich«, fuhr Ms.Badwin fort, »es ist wirklich nett, dass ihr jungen Leute mir die ganze Zeit zuhört. Wir Sammler sind ja von unseren Lieblingsgegenständen oft regelrecht besessen. Ihr seid wirklich sehr geduldig. Aber ich denke, ihr habt familiäre Gründe für eure Geduld – die meisten königlichen Familien sind ja auch miteinander verwandt.« Sie wandte sich Jaya zu. »War der Raja von Chomalur dein Urgroßvater, Schätzchen, oder dein Ururgroßvater? Der Händler, der mir deine Schwester verkaufte, hat es mir erzählt, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern.«
    »Sie haben Anjali von Mr.Stone gekauft?« Jaya erstickte fast an ihrer Wut.
    »Ja, er ist wirklich ausgesprochen zuverlässig – alle Papiere waren dabei und in Ordnung. Ich bin überaus penibel, wenn es um die Herkunft geht. Das muss man heutzutage leider auch sein. Eine Freundin von mir reißt sich immer um etwas, was sie als Schnäppchen bei eBay bezeichnet. Aber all ihre Exemplare aus der Tang-Dynastie stellten sich später als geplündert heraus, und sie musste sie wieder hergeben. Und ganz unter uns: Die Malteser Fürstin, mit der sie immer angibt, ist überhaupt nicht königlich – es ist eine schlichte Herzogin. Aber ihr seid bestimmt nicht hier, um euch das anzuhören. Ich bin doch eine unmögliche Gastgeberin. Kann ich euch etwas anbieten? Vielleicht etwas Lebkuchen?«
    »O ja, sehr gern. Danke schön«, sagte Aaron.
    Ich trat ihm so diskret wie möglich auf den Fuß, damit Ms.Badwin es nicht bemerkte. Er trat zurück, und das weit weniger diskret. Ich musste mich zusammennehmen, um keinen Schmerzenslaut von mir zu geben.
    »Sehr schön. Bin gleich wieder da«, sagte Ms.Badwin und verließ das Wohnzimmer.
    »Was machst du denn da, Aaron?«, zischte ich. »Dir ist doch klar, dass wir hier nichts essen dürfen.«
    »Ich schaffe sie hier raus, Blödian. Schnell, wir müssen Anjali finden.«
    Marc eilte zur Vitrine. Jaya war vor ihm da und schob Prinzessinnen beiseite. »Da ist sie! Marc, kommst du ran?« Sie zeigte auf eine bemalte Lehmpuppe ganz hinten auf einem der oberen Regale, mit Schnüren an Armen und Beinen wie eine Marionette. Sie trug einen Sari aus Stoff, aber sie hatte Anjalis Augen.
    »Nicht doch. Nicht anfassen!« Ms.Badwin war zurückgekehrt. Und es überraschte mich kaum noch, dass sie einen Zauberstab in der Hand hielt. Er sah aus wie ein billiges Spielzeug, das man einem Sechsjährigen schenkt. Sie holte mit dem Stab aus und schlug nach Marc.
    »Pass auf!«, schrie Aaron und warf sich vor Marc. Der Stab traf ihn im Gesicht und hinterließ auf seiner Wange einen roten Striemen.
    »Ausgesprochen edelmütig. Aber jetzt gehst du mir bitte aus dem Weg.« Ms.Baldwins Stimme klirrte.
    Aaron griff nach der Hand, in der sie den Zauberstab hielt. Sie schlug seinen Arm weg und knallte ihm den Zauberstab zwischen die Beine. Stöhnend brach er zusammen.
    Ms.Badwin lehnte sich über ihn nach vorn und berührte Marc mit dem Stab an der Schulter. Nichts geschah.

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