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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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hinunter. Vor zehn Minuten hatte das Wasser die fünfte Stufe bedeckt. Jetzt stand es schon bis zur Hälfte der sechsten.
    Sie suchte Williams wärmste Kleider heraus und weckte ihn dann so sanft wie möglich. »Du mußt dich anziehen, Liebling. Sitz einfach still, Mami zieht dich an.«
    William sah sie verständnislos und schlaftrunken an. »Ist es schon Morgen?«
    Â»Noch nicht, Liebling. Aber vielleicht müssen wir heute nacht das Cottage verlassen.«
    Rasch zog sie ihn an und dachte fieberhaft nach. Das Haus stand am Fuß des Inselhangs, wie Daniel ihr letzten Sommer eingeschärft hatte. Sie hätte bemerken müssen, wie schlimm das Wetter geworden war, und für ein oder zwei Nächte in die Abbey zurückgehen müssen. Aber für Selbstvorwürfe war es jetzt zu spät. Jetzt mußte sie nicht nur ihr eigenes, sondern auch Williams Leben retten.
    Das Ausmaß der Flut hing davon ab, wo der Deich gebrochen war. Wenn es in der Nähe von Littleport geschehen war, wäre sie vielleicht noch nicht vollständig von Wasser umgeben oder es wäre an einigen Stellen noch flach genug, um durchzuwaten. Doch wenn der Damm in Drakesden gebrochen war …
    Â»Soll ich meinen Hasen mitnehmen?« William sah verwirrt, aber vertrauensvoll zu ihr auf.
    Â»Ja, Liebling. Mach das nur.«
    Sie zog die Vorhänge zurück, öffnete das Fenster und sah hinaus. Auf dieser Seite des Hauses stand die Flut nur noch etwa einen Meter unterhalb des Fensterbretts des oberen Stockwerks. Thomasine nahm Williams Hand und führte ihn in ihr Schlafzimmer.
    Â»Mami«, flüsterte William, als sie an der Treppe vorbeigingen, »da ist Wasser in der Küche .«
    Ihr fiel nichts ein, was sie zu seiner Beruhigung hätte sagen können. In ihrem Schlafzimmer öffnete sie das Fenster und hielt die Lampe hinaus. Im Lichtschein erkannte sie, daß sich ihre schlimmsten Ängste bewahrheitet hatten: Sie waren von allen Seiten vom schnell ansteigenden Wasser umgeben.
    Das Land, das Daniel seit seiner Kindheit kannte, hatte innerhalb weniger Stunden sein Aussehen verändert. Die Kirchenglocken läuteten noch immer, hallten über die Fluten und Sümpfe und halfen ihm, den Weg zum Dorf zu finden, wo er in relativer Sicherheit wäre. Er war bis auf die Haut durchnäßt, an seinen Stiefeln klebte Schlamm, und die Taschenlampe lieferte nur ein schwaches Licht in der stürmischen Nacht. Als er die Ausläufer von Drakesden erreichte, dachte Daniel kurz nach. Die Kirche. Wahrscheinlich waren die beiden in der Kirche.
    Als er durch die Hauptstraße lief, luden Dorfbewohner noch immer ihre Habseligkeiten auf Karren, um sie auf dem höher liegenden Land in Sicherheit zu bringen. Daniel eilte an ihnen vorbei in Richtung Kirchhof. Die Kirche war mit Frauen und Kindern überfüllt. Die Männer waren natürlich draußen und versuchten, die noch nicht gebrochenen Dämme zu befestigen, oder bemühten sich, die Pumpen in Gang zu halten. Aufgeregt warf er einen Blick über die durchnäßte Versammlung und sah sich jedes Gesicht an.
    Alle Gesichter waren ihm bekannt, aber das eine, das er zu finden hoffte, war nicht darunter. Keine der Frauen hatte rotes Haar, keine drehte sich um und sah ihn mit jenen großen meergrünen Augen an. Der Klang der Glocken war wie ein Widerhall seines angstvoll pochenden Herzens. Als er Pfarrer Fanshawe in der Sakristei entdeckte, bahnte er sich einen Weg durch die Menge.
    Â»Daniel!« Der Pfarrer sah überrascht zu ihm auf.
    Zwei Frauen standen in der Sakristei: Anna Fanshawe, die Zucker in Teetassen gab, und das Dienstmädchen der Fanshawes, das Brot schnitt.
    Daniel hielt sich nicht mit Höflichkeiten auf. »Wo ist Thomasine? Sie ist nicht bei den Frauen draußen.«
    Â»Miss Thorne … die hab ich ganz vergessen … Sind Sie sicher, daß sie nicht dort draußen ist?« Der Pfarrer runzelte die Stirn. »Die Glocken läuten seit Mitternacht …«
    Â»Sie ist nicht dort draußen, das sag ich Ihnen doch!«
    Â»Dann ist sie sicher ins große Haus gegangen. Ja, ich bin sicher, dort wird sie sein.«
    Von hinten sagte jemand: »Mein Eddie hat gesagt, die beiden seien krank gewesen, Herr Pfarrer. Die Missus und der Kleine.« Als er sich umdrehte, erkannte Daniel das breite, fleischige Gesicht von Bessie Readman, Eddies Mutter.
    Â»Es gab eine schlimme

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