Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
erwiderte sie; »Sie wissen nichts. Darf eine Tochter jemals ihre Mutter preisgeben?«
Als d'Arthez dieses Wort vernahm, glich er einem Manne, der sich in schwarzer Nacht in den Alpen verirrt und der beim ersten Morgenlicht erkennt, daß er über einem bodenlosen Abgrund steht. Er sah die Fürstin mit stumpfem Blick an; es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Diana glaubte einen Augenblick, dieser geniale Mann sei ein schwacher Geist, aber sie erkannte in seinen Augen einen Glanz, der sie beruhigte.
»Kurz, Sie sind für mich fast zum Richter geworden,« sagte sie mit dem Ausdruck der Verzweiflung. »Kraft des Rechtes, das jedes verleumdete Wesen hat, sich in seiner Unschuld zu zeigen, darf ich reden. Man hat mich so großer Leichtfertigkeit, so vieler schlimmen Dinge angeklagt, und man klagt mich ihrer noch heute an – soweit man sich der armen Eremitin entsinnt, die durch die Welt gezwungen wurde, aus eben der Welt zu scheiden –, daß es mir wohl erlaubt sein kann, mir in dem Herzen, in dem ich eine Zuflucht finde, eine Stellung zu verschaffen, aus der ich nicht zu verjagen bin. Ich habe in der Rechtfertigung stets einen starken Eingriff in das Recht der Unschuld erblickt, und deshalb habe ich es auch stets verschmäht, zu reden. Und an wen sollte ich auch wohl das Wort richten? So grausame Dinge darf man nur Gott anvertrauen oder jemandem, der ihm nahezustehen scheint, einem Priester zum Beispiel, oder schließlich einem andern Selbst. Nun, wenn meine Geheimnisse dort...« (und sie legte d'Arthez ihre Hand aufs Herz) »nicht ebensogut aufgehoben sind, wie sie es hier waren...« (und sie bog mit der Spitze ihrer Finger den Rand ihrer Schnürbrust nach innen) – »dann sind Sie nicht der große d'Arthez, dann bin ich getäuscht worden.«
Eine Träne trat d'Arthez in die Augen, und Diana verschlang diese Träne mit einem Seitenblick, bei dem sie weder die Wimper noch den Augapfel bewegte. Der Blick war gewandt und scharf wie die Bewegung einer Katze, die eine Maus fängt. D'Arthez wagte seit sechzig Tagen voller Vorreden endlich, ihre linde, duftende Hand zu ergreifen; er führte sie an die Lippen und drückte einen langen Kuß darauf, den er in so zarter Wollust vom Handgelenk bis zu den Nägeln gleiten ließ, daß die Fürstin den Kopf senkte und sich sehr viel von der Literatur versprach. Sie sagte sich, die genialen Leute müßten viel vollkommener lieben als die Gecken, die Leute der Gesellschaft, die Diplomaten und selbst die Offiziere, die gleichwohl sonst nichts zu tun haben. Sie war Kennerin und wußte, daß der für die Liebe begabte Charakter sich gewissermaßen in einem Nichts verrät. Eine wissende Frau kann ihre Zukunft in einer einfachen Geste lesen, so wie Cuvier, wenn er einen Bruchteil einer Tatze sah, sagen konnte: »Dieser Knochen gehört einem Tier von der und der Größe, einem Tier mit oder ohne Hörner, einem Fleischfresser, einem Pflanzenfresser, einer Amphibie usw. an, die vor so und so viel tausend Jahren gelebt haben.« Da sie überzeugt war, bei d'Arthez in der Liebe ebensoviel Phantasie zu finden, wie er in seinen Stil hineinlegte, so hielt sie es für nötig, ihn bis zum höchsten Grade der Leidenschaft und des Glaubens zu treiben. Sie zog ihre Hand mit einer wundervollen Geste voller Erregung zurück. Hätte sie gesagt: »Hören Sie auf, Sie töten mich!« so hätte sie weniger deutlich gesprochen. Einen Augenblick ließ sie ihre Augen in Daniels Augen ruhen, und sie drückten zugleich Glück, Prüderie, Furcht, Vertrauen, Schmachten, unbestimmtes Verlangen und jungfräuliche Scham aus. Jetzt war sie wirklich erst zwanzig Jahre alt! Aber man bedenke auch, daß sie sich auf diese Stunde der lächerlichen Lüge mit einer unerhörten Toilettekunst vorbereitet hatte; sie lag in ihrem Sessel gleich einer Blume, die beim ersten Kuß der Sonne aufblühen soll. Ob sie nun trog oder wahr blieb, sie berauschte Daniel.
Wenn es erlaubt ist, hier eine persönliche Ansicht einzuflechten, so will ich gestehen, daß es köstlich wäre, lange so getäuscht zu werden. Sicherlich hat Talma auf der Bühne die Natur oft übertroffen. Aber ist nicht die Fürstin von Cadignan die größte Schauspielerin unserer Zeit? Dieser Frau fehlt nur ein aufmerksames Parkett. Zum Unglück verschwinden die Frauen in Zeiten, die von politischen Stürmen aufgepeitscht werden, gleich den Wasserlilien, die, um zu blühen und sich vor unsern entzückten Augen auszubreiten, einen klaren Himmel und die lauesten Westwinde
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