Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
Unrecht er mir auch angetan hat, so dachte ich doch, als ich seinen Brief gelesen hatte, daran, daß er verbannt und ohne Familie ist und seinen Sohn, den er liebt, nicht bei sich hat.«
Diese Worte, die mit seelenvoller Stimme gesprochen wurden, verrieten engelhafte Empfindsamkeit. D'Arthez war bis ins tiefste gerührt. Die Neugier des Liebhabers wurde sozusagen zu einer fast psychologischen und literarischen Neugier. Er wollte wissen, wie groß diese Frau war, auf welche Beschimpfungen ihr Verzeihen sich erstreckte und wie die Frauen der Gesellschaft, die man der Frivolität, der Herzenshärte und des Egoismus bezichtigte, Engel sein konnten. Da er sich entsann, schon einmal abgewiesen worden zu sein, als er dieses himmlische Herz hatte kennen lernen wollen, trat ihm gleichsam ein Zittern in die Stimme, während er die durchsichtige, schmächtige Hand Dianas mit den spindelförmig zulaufenden Fingern ergriff und zu ihr sprach: »Sind wir jetzt befreundet genug, damit Sie mir sagen, was Sie gelitten haben? Ihr einstiger Kummer kann an dieser Gedankenversunkenheit nicht unbeteiligt sein.« »Ja,« sagte sie, und diese Silbe klang wie der süßeste Ton, den jemals eine Flöte hingehaucht hat.
Sie sank in ihre Träumerei zurück, und ihre Augen verschleierten sich. Daniel blieb, von der Feierlichkeit des Augenblicks durchdrungen, in angstvoller Erwartung stehen. Seine Dichterphantasie zeigte ihm gleichsam Wolken, die langsam zergingen, indem sie ihm das Heiligtum enthüllten, darin er zu Gottes Füßen das gesegnete Lamm erblicken sollte. »Nun?...« sagte er mit sanfter und ruhiger Stimme.
Diana blickte den zärtlichen Ritter an; dann senkte sie langsam die Augen und ließ in einer Bewegung, die die edelste Scham verriet, die Lider sinken. Nur ein Ungeheuer hätte in der anmutigen Wellenbewegung, mit der die boshafte Fürstin den hübschen kleinen Kopf wieder hob, um noch einen Blick in die gierigen Augen dieses großen Mannes zu tauchen, Heuchelei zu sehen vermocht.
»Kann ich es? Darf ich es?« sagte sie, indem sie eine Bewegung des Zögerns machte und d'Arthez mit dem wundervollsten Ausdruck träumerischer Zärtlichkeit ansah. »Die Männer haben in solchen Dingen so wenig Gewissen! Sie halten sich so wenig für verpflichtet, zu schweigen.« »Oh, wenn Sie mir mißtrauen, wozu bin ich dann hier?« rief d'Arthez. »Ach, mein Freund,« erwiderte sie, indem sie seinen Ausruf als unwillkürliches Geständnis gelten ließ, »wenn eine Frau sich für ihr Leben bindet, rechnet sie da? Es handelt sich nicht um meine Weigerung – was kann ich Ihnen verweigern? – sondern um die Vorstellung, die Sie von mir haben werden, wenn ich rede. Ich will Ihnen gern anvertrauen, in welcher seltsamen Lage ich mich in meinem Alter sehe; aber was würden Sie von einer Frau denken, die die geheimsten Wunden der Ehe aufdeckte, die die Geheimnisse eines anderen verriete? Turenne hielt auch den Dieben sein Wort; bin ich nicht meinen Henkern die Redlichkeit Turennes schuldig?« »Haben Sie irgend jemandem Ihr Wort gegeben?« »Herr von Cadignan hielt es nicht für nötig, Verschwiegenheit von mir zu verlangen. Wollen Sie denn mehr von mir als meine Seele? Tyrann! Sie wollen also, daß ich meine Redlichkeit in Ihnen begrabe?« sagte sie, indem sie einen Blick auf d'Arthez warf, durch den sie dieser falschen Vertraulichkeit mehr Wert verlieh als ihrem ganzen Ich. »Sie machen einen gar zu gewöhnlichen Mann aus mir, wenn Sie von mir das geringste Übel fürchten,« sagte er mit schlecht verhehlter Bitterkeit. »Verzeihung, mein Freund,« erwiderte sie, indem sie seine Hand ergriff, betrachtete, in ihre Hände nahm und streichelte: sie ließ ihre Finger mit einer Bewegung der größten Sanftheit über sie hingleiten. »Ich weiß, was Sie wert sind. Sie haben mir Ihr ganzes Leben erzählt; es ist edel, es ist schön, es ist erhaben, es ist Ihres Namens würdig; vielleicht bin ich Ihnen dafür auch meines schuldig? Aber ich fürchte in diesem Augenblick, in Ihren Augen zusammenzusinken, wenn ich Ihnen Geheimnisse erzähle, die nicht mir allein gehören. Und dann werden Sie, ein Mann der Einsamkeit und der Poesie, vielleicht nicht einmal an die Greuel der Welt glauben können. Ach, Sie wissen nicht, wenn Sie Ihre Dramen erfinden, daß sie durch jene übertroffen werden, die sich im Schoße der scheinbar einigsten Familien abspielen. Sie kennen die Tragweite manches vergoldeten Unglücks nicht.« »Ich weiß alles,« rief er aus. »Nein,«
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