Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
nötig haben.
Die Stunde war gekommen; Diana stand im Begriff, den großen Mann in die unentwirrbaren Schlingen eines von langer Hand vorbereiteten Romans zu verwickeln, dem er lauschen mußte, wie in den schönsten Tagen des christlichen Glaubens ein Neubekehrter der Predigt eines Apostels lauschte. »Lieber Freund, meine Mutter, die noch heute zu Uxelles lebt, hat mich 1814 in meinem siebzehnten Jahre – Sie sehen, ich bin schon recht alt – mit Herrn von Maufrigneuse verheiratet; und zwar nicht, weil sie mich, sondern weil sie ihn liebte. Sie vergalt dem einzigen Manne, den sie geliebt hatte, alles Glück, das sie von ihm empfangen hatte. Oh, wundern Sie sich nicht weiter über dieses grauenhafte Auskunftsmittel; es wird oft benutzt. Viele Frauen sind bessere Liebhaberinnen als Mütter, wie die meisten bessere Mütter als Gattinnen sind. Diese beiden Empfindungen, die Liebe und die Mütterlichkeit, bekämpfen sich oft, wie sie nun einmal durch unsere Sitten entwickelt worden sind, im Herzen der Frauen; eine von beiden muß notwendig erliegen, wenn sie nicht an Kraft gleich sind; wo sie es sind, bilden einige Ausnahmefrauen den Ruhm unseres Geschlechts. Ein Mann von Ihrem Genie muß diese Dinge verstehen, die das Staunen der Dummköpfe bilden, die aber darum nicht minder wahr sind; ja, ich gehe noch weiter, sie lassen sich sogar durch die Unterschiede in den Charakteren, den Temperamenten, den Verbindungen und Lagen rechtfertigen. Ich zum Beispiel, wäre ich nicht nach zwanzig Jahren des Unglücks, der Enttäuschung, der Verleumdung, lastender Langeweile und hohlen Vergnügens in diesem Augenblick bereit, mich einem Manne, der mich aufrichtig und für immer lieben wollte, zu Füßen zu werfen? Nun, und würde ich nicht von der Welt verurteilt werden? Und wären nicht trotzdem zwanzig Jahre der Leiden eine Entschuldigung dafür, daß ich die zwölf Jahre der Schönheit, die ich noch vor mir habe, einer heiligen und reinen Liebe schenke? Es wird nicht sein, ich bin nicht dumm genug, um mein Verdienst in Gottes Augen zu mindern. Ich habe die Last des Tages und der Hitze bis zum Abend getragen, ich werde meinen Tag zu Ende leben und habe meinen Lohn verdient ...« »Welch ein Engel!« dachte d'Arthez. »Kurz, ich habe der Herzogin von Uxelles niemals gegrollt, weil sie Herrn von Maufrigneuse mehr geliebt hat als diese arme Diana hier. Meine Mutter hatte mich sehr wenig gesehen, sie hatte mich vergessen; aber sie hat sich mir gegenüber schlecht verhalten, einfach als Frau der Frau gegenüber; und was zwischen Frau und Frau schon schlecht ist, wird grauenhaft zwischen Mutter und Tochter. Die Mütter, die ein Leben gleich dem der Herzogin von Uxelles führen, halten sich selber ihre Töchter fern; und also bin ich vierzehn Tage vor meiner Heirat in die Welt eingetreten. Denken Sie sich meine Unschuld! Ich wußte nichts, ich war nicht imstande, das Geheimnis dieser Verbindung zu durchschauen. Ich hatte ein schönes Vermögen: sechzigtausend Franken Rente in Wäldern, die die Revolution zu verkaufen vergessen hatte, unten in der Gegend von Nevers, oder die sie nicht hatte verkaufen können; sie gehörten zu dem schönen Schloß von Anzy. Herr von Maufrigneuse hatte so viel Schulden wie ein Sieb Löcher. Wenn ich auch später erfahren habe, was es heißt, Schulden zu haben, so wußte ich damals zu wenig vom Leben, um es zu ahnen. Die Ersparnisse, die sich aus meinem Vermögen ergeben hatten, dienten dazu, die Lage meines Gatten ins Gleichgewicht zu bringen. Herr von Maufrigneuse war achtunddreißig Jahre alt, als ich ihn heiratete; aber diese Jahre glichen den Kriegsjahren der Offiziere, sie zählten doppelt. Ach, er war mehr als sechsundsiebzig Jahre alt. Meine Mutter stellte mit vierzig Jahren noch Ansprüche, und ich stand zwischen einer doppelten Eifersucht. Was für ein Leben habe ich zehn Jahre lang geführt! ... Ach, wenn man wüßte, was diese arme, kleine, so viel beargwöhnte Frau gelitten hat! Von einer Mutter bewacht zu werden, die auf ihre Tochter eifersüchtig ist! Gott! ... Sie, der Sie Dramen schreiben, Sie werden niemals eins erfinden, das so schwarz und grausam ist wie dieses! Nach dem Wenigen, was ich von der Literatur verstehe, ist ein Drama in der Regel eine Folge von Ereignissen, Reden und Handlungen, die alle auf eine Katastrophe zueilen; aber in dem, wovon ich rede ist die grauenhafteste Katastrophe zu dauerndem Leben geworden! Es ist, als wäre morgens eine Lawine über Sie hinübergegangen und
Weitere Kostenlose Bücher