Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
Herzogin nicht viel, obwohl sie sich ungefähr seit fünf Jahren der Frömmigkeit und der Reue jener Frauen ergeben hatte, die für vieles der Verzeihung bedürfen.
Seit mehreren Tagen zeichnete die Fürstin sich immer mehr durch ihre Kenntnisse in der Literatur aus. Sie ging dank täglicher und nächtlicher Lektüre, die sie mit einer höchsten Lobes würdigen Unerschrockenheit verfolgte, in größter Kühnheit an die schwierigsten Fragen. D'Arthez war verblüfft; er konnte nicht argwöhnen, daß Diana d'Uxelles abends repetierte, was sie morgens gelesen hatte, wie es viele Schriftsteller tun; und also hielt er sie für eine ganz überlegene Frau. Solche Unterhaltungen lenkten Diana vom Ziel ab, und sie versuchte, wieder auf das Gelände der vertraulichen Mitteilungen zu kommen, aus dem er sich vorsichtig zurückgezogen hatte; aber es wurde ihr nicht leicht, einen Mann von seiner Art dorthin zurückzuleiten, nachdem er einmal scheu geworden war. Immerhin wurde d'Arthez nach einem Monat literarischer Feldzüge und schöner platonischer Reden kühner und kam jeden Tag um drei Uhr. Um sechs Uhr zog er sich zurück; und abends um neun Uhr erschien er nochmals, um dann mit der Regelmäßigkeit eines ungeduldigen Liebhabers bis Mitternacht oder ein Uhr morgens zu bleiben. Die Fürstin war um die Stunde, um die d'Arthez sich einstellte, stets mehr oder minder sorgfältig gekleidet. Diese gegenseitige Treue, die Mühe, die sie sich umeinander machten – all das sprach von Empfindungen, die sie sich nicht einzugestehen wagten; denn die Fürstin erriet wundervoll, daß dieses große Kind vor einer Aussprache Angst hatte im gleichen Maße, wie sie selbst Lust zu einer solchen hatte. Nichtsdestoweniger legte d'Arthez in seine beständigen stummen Erklärungen eine Achtung hinein, die der Fürstin unendlich gefiel. Beide fühlten sich von Tag zu Tag um so enger verbunden, als sie im Gang ihrer Gedanken nichts Ausgemachtes oder bestimmt Erklärtes fesselte, wie wenn zwischen zwei Liebenden auf der einen Seite formelle Forderungen stehen und auf der andern eine aufrichtige oder kokette Verteidigung. Gleich allen jungen Leuten, die jünger sind, als sie nach ihren Jahren sein könnten, wurde d'Arthez von jener aufregenden Unentschlossenheit gequält, die von der Macht des Verlangens und der Angst davor, zu mißfallen, erzeugt wird, eine Lage, von der eine junge Frau nichts versteht, wenn sie sie teilt, die aber die Fürstin zu oft geschaffen hatte, um ihre Genüsse nicht auszukosten. Daher freute sich Diana dieser köstlichen Kindereien auch um so mehr, als sie genau wußte, wie sie ihnen ein Ende machen konnte. Sie glich einem großen Künstler, der sich in den unbestimmten Linien einer Skizze gefällt, weil er gewiß ist, in einer inspirierten Stunde das noch in den Windeln der Kindheit schwebende Kunstwerk vollenden zu können. Wie oft gefiel sie sich nicht, wenn sie sah, daß d'Arthez bereit war, einen Schritt vorwärts zu tun, darin, ihn durch eine imposante Miene zurückzuhalten! Sie wies die heimlichen Stürme dieses jungen Herzens mit einem Blick ab, weckte sie wieder und beruhigte sie, indem sie ihm die Hand zum Kuß reichte oder mit bewegter und gerührter Stimme bedeutungslose Worte sagte. Dieser kühl überlegte, aber göttlich gespielte Kunstgriff grub ihr Bild immer tiefer in die Seele dieses geistvollen Schriftstellers ein, den sie an ihrer Seite gern zum Kinde machte, zu einem vertrauenden, schlichten und beinahe einfältigem Kinde; aber bisweilen hielt sie auch in sich selber Einkehr, und dann war es ihr nicht möglich, das Gemisch von so viel Größe und so viel Unschuld nicht zu bewundern. Das Spiel der großen Kokette fesselte sie unvermerkt selber an ihren Sklaven. Endlich aber wurde Diana diesem verliebten Epiktet gegenüber ungeduldig; und als sie glaubte, ihn zur vollkommensten Gläubigkeit vorbereitet zu haben, schickte sie sich an, ihm die dichteste Binde vor die Augen zu legen.
Eines Abends fand Daniel die Fürstin nachdenklich; sie hatte einen Ellbogen auf einen kleinen Tisch gestützt, und ihr schöner Blondkopf wurde von der Lampe mit Licht übergossen; sie spielte mit einem Brief, den sie auf dem Tischläufer tanzen ließ. Als d'Arthez dieses Papier gesehen haben mußte, faltete sie es schließlich zusammen und steckte es in den Gürtel. »Was haben Sie?« fragte d'Arthez; »Sie scheinen unruhig zu sein?« »Ich habe einen Brief von Herrn von Cadignan erhalten,« erwiderte sie. »So schweres
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