Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan (German Edition)
einer Kanonenbatterie gegen ein Gewehrfeuer. Man wechselte schleunigst das Thema. Weder der Graf de Trailles noch der Marquis d'Esgrignon schienen geneigt, sich mit d'Arthez zu zanken. Als der Kaffee serviert wurde, traten Blondet und Nathan in einer Eile zu dem Schriftsteller, die niemand nachzuahmen wagte; so schwierig war es, die Bewunderung, die sein Verhalten einflößte, mit der Furcht davor in Einklang zu bringen, daß man sich zwei mächtige Feinde schaffen konnte.
»Nicht erst heute erfahren wir, daß Ihr Charakter an Größe Ihrem Talent gleichkommt,« sagte Blondet. »Sie haben sich da nicht als Mann gezeigt, sondern als Gott. Sich weder von seinem Herzen noch von seiner Phantasie fortreißen zu lassen; nicht die Verteidigung einer geliebten Frau zu ergreifen – ein Mißgriff, den man von Ihnen erwartete und worüber diese von Eifersucht auf den literarischen Ruhm verzehrte Gesellschaft triumphiert hätte –, oh, erlauben Sie mir, es offen auszusprechen, das ist der Inbegriff aller privaten Politik.« »Sie sind ein Staatsmann,« sagte Nathan. »Es ist ebenso fein wie schwierig, eine Frau zu rächen, ohne daß man sie verteidigt.« »Die Fürstin ist eine der Heroinen der legitimistischen Partei; ist es nicht für jeden Mann von Herz eine Pflicht, sie ›trotz allem‹ zu decken?« erwiderte d'Arthez kühl. »Was sie für die Sache ihrer Herren getan hat, würde das tollste Leben entschuldigen.«
»Er spielt vorsichtig,« sagte Nathan zu Blondet. »Gerade als verlohnte die Fürstin der Mühe!« erwiderte Rastignac, der zu ihnen getreten war.
D'Arthez ging zu der Fürstin, die ihn unter den Qualen der größten Ängste erwartete. Das Ergebnis des Experiments, das Diana selber herbeigeführt hatte, konnte ihr verhängnisvoll werden. Zum erstenmal in ihrem Leben litt diese Frau in ihrem Herzen und schwitzte in ihrem Kleide. Sie wußte nicht, was sie beginnen sollte, wenn d'Arthez der Welt glaubte, die die Wahrheit sagte, statt ihr zu glauben, obwohl sie log; denn niemals war ihr ein so schöner Charakter, ein so vollkommener Mann, eine so reine Seele, ein so naives Gewissen unter die Hände geraten. Wenn sie so grausame Lügen gesponnen hatte, so hatte das Verlangen sie getrieben, die echte Liebe kennen zu lernen. Diese Liebe fühlte sie in ihrem Herzen keimen, sie liebte d'Arthez; sie war dazu verurteilt, ihn zu täuschen, denn sie wollte für ihn die wundervolle Schauspielerin bleiben, die in seinen Augen Komödie gespielt hatte. Als sie Daniels Schritt im Speisezimmer vernahm, rüttelte die Erregung, das Zittern sie bis in die Untergründe ihres Lebens hinein wach. Diese Erregung, die sie während des für eine Frau ihres Ranges abenteuerlichsten Lebens niemals gespürt hatte, sagte ihr jetzt, daß sie ihr Glück aufs Spiel gesetzt hatte. Ihre Augen, die ins Leere blickten, umfingen den ganzen d'Arthez; sie sah durch seine Fleischeshülle hindurch und las in seiner Seele; der Argwohn hatte ihn mit seinen Fledermausflügeln nicht einmal gestreift! Die furchtbare Erregung der Angst führte den Rückschlag herbei; die Freude hätte die glückliche Diana fast erstickt; denn es gibt kein Geschöpf, das nicht mehr Kraft besäße, wenn es gilt, Kummer zu ertragen, als wenn es gilt, dem höchsten Glück standzuhalten.
»Daniel, man hat mich verleumdet, und du hast mich gerächt!« rief sie aus, indem sie aufstand und ihm die offenen Arme entgegenhielt. Daniel ließ in dem tiefen Staunen über dieses Wort, dessen Wurzeln ihm unsichtbar blieben, seinen Kopf von zwei schönen Händen ergreifen; und die Fürstin küßte ihn keusch auf die Stirn. »Woher haben Sie das erfahren? ...« »O du erlauchter Tropf! Siehst du denn nicht, daß ich dich bis zum Wahnsinn liebe?«
Seit diesem Tage ist weder von der Fürstin noch von d'Arthez ferner die Rede gewesen. Die Fürstin hat von ihrer Mutter ein kleines Vermögen geerbt; sie verbringt all ihre Sommer mit dem großen Schriftsteller in einer Villa zu Genf und kehrt nur im Winter auf einige Monate nach Paris zurück. D'Arthez läßt sich nur noch in der Kammer sehen. Seine Veröffentlichungen sind außerordentlich selten geworden. Ist das eine Lösung? Für alle Leute von Geist: ja; für jene, die alles wissen wollen: nein.
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