Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing
Landkarten nur ein schmaler, blauer Strich war.
"Warum hast du mir eigentlich bisher verschwiegen, dass du Portugiesisch kannst?", fragte ich ihn, nachdem er mit einem Schiffseigner darüber verhandelt hatte, ob dieser uns flussaufwärts bringen würde.
"Verschwiegen?", echote Tom etwas irritiert.
"Mr. Swann wusste darüber Bescheid..."
"Ich habe vor einiger Zeit eine Übersetzung für ihn anfertigen müssen. Wahrscheinlich weiß er es daher."
"Meine Frage hast du mir immer noch nicht beantwortet."
Seine meergrünen Augen musterten mich einige Momente. Dann lächelte er gewinnend. "Du hast mich nie danach gefragt, Patti..." Dann ließ er den Blick über die unzähligen Boote, Yachten und Schiffe schweifen, die in diesem geschäftigen Flusshafen zu finden waren. Die gesamte Szenerie erinnerte an einen geschäftigen Ameisenhaufen. Auf den ersten Blick wirkte es chaotisch, doch wenn man genauer hinsah, konnte man erkennen, dass das ein Irrtum war.
"Ich war in einem anderen Leben schon einmal hier, in Brasilien", sagte Tom dann. Ein seltsamer Glanz trat in seine Augen, dazu ein versonnener, etwas abwesend wirkender Gesichtsausdruck. Die Bilder der Erinnerung beherrschten ihn - der Erinnerung an eines seiner zahllosen Leben, die er gelebt hatte, bevor ein Junge namens Thomas 'Tom' Hamilton geboren worden war.
"Was war das für ein Leben?"
"Gut 220 Jahre ist es her. Ich war Eisenwarenhändler und fuhr mit einem Flussboot den Strom hinauf und hinunter. Aber niemals weiter als Manaus." Er lächelte. "Eine aufregende Wiedergeburt war das nicht!"
Später gestand er mir dann allerdings, dass ein Teil seiner Sprachfertigkeit aus einem ganz gewöhnlichen Portugiesisch-Kurs stammte.
Einen ganzen Tag lang versuchten wir, ein Boot zu chartern, dass uns Richtung Westen bringen würde. In den Dschungel hinein, der Manaus wie ein dampfendes, vor Leben nur so wimmelndes Pflanzenmeer umgab. Zwar war dieser Regenwald insgesamt in seiner Existenz bedroht, aber die Fläche, die er heute ausfüllte, war immer noch beachtlich.
Niemand schien uns transportieren zu wollen.
Fadenscheinige Ausreden wurden uns mitgeteilt.
In den Augen der Skipper sah ich zumeist nackte Angst.
Am Tag unserer Ankunft erst war ein Flussboot in den Regenwald aufgebrochen und bislang nicht wieder aufgetaucht.
Es war längst überfällig. Die Besatzung war äußerst versiert gewesen und niemand mochte daran glauben, dass sich der Steuermann vielleicht in den zahllosen, sich wie Blutgefäße verästelnden Nebenarmen des Amazonas, hatte verirren können.
Eher schon machte man dunkle Mächte für das Verschwinden des Schiffes verantwortlich.
Und immer wieder flüsterte man einen Namen.
Rama'ymuh.
Nicht nur Indios, die auf den Flussbooten angeheuert hatten, flüsterten ihn. Selbst so mancher Polizist, mit dem wir sprachen, war sich offenbar nicht völlig sicher, ob der Fluch dieses indianischen Totengottes nicht vielleicht doch wirksamer war, als moderne Menschen das wahrhaben wollten.
"Hast du nicht irgendwann einmal erwähnt, dass das Boot, mit dem du und Jim damals in Solimoes hinaufgefahren seid, den Namen AMAZONAS QUEEN trug?"
Ich nickte.
"Ja, das stimmt!"
Tom deutete mit der flachen Hand auf eines der etwas größeren Boote. Es war ein kleines Schiff mit Aufbauten und etwas abblätternder Farbe. Die Stellen waren mühselig übertüncht worden, aber das nützte kaum etwas.
Mir stockte einen Moment der Atem.
Es war die AMAZONAS QUEEN!
Das Boot von Mike Silva, jenem Abenteurer, in den ich mich damals Hals über Kopf verliebt hatte.
Ich griff nach Toms Hand und drückte sie. Er erwiderte diese Geste.
"Versuchen wir es dort mal", meinte er. "Schließlich war die Besatzung schon einmal bereit, dich flussaufwärts zu transportieren. Warum sollte das nicht ein zweites Mal der Fall sein?"
Ein Kloß steckte mir im Hals.
*
Als wir die AMAZONAS QUEEN erreichten, musterte mich ein dunkelhaariger, breitschultriger Mann, der gerade an Deck etwas reparierte.
Ich erkannte ihn wieder.
Er hieß Eduardo Gomes und hatte an meiner ersten Fahrt, den Solimoes flussaufwärts ebenfalls teilgenommen. Einige Augenblicke dauerte es, bis er mich wiedererkannte. Sein Blick blieb allerdings ungläubig.
"Miss Vanhelsing?", fragte er in akzentschwerem Englisch.
"Senhor Gomes! Schön, dass Sie sich noch an mich erinnern!"
"Wie hätte ich Sie vergessen können!"
"Wie geht es Ihnen?"
"Muito bem", sagte er. "Sehr gut. Kommen Sie an Bord!"
Wir gingen über
Weitere Kostenlose Bücher