Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing
das Fallreep. Gomes reichte mir die Hand.
Dann stellte ich ihm Tom Hamilton vor. Als ich mich umsah, fiel mir auf, dass die AMAZONAS QUEEN einen frischen Anstrich hinter sich haben musste.
"Ist Captain Silva zu sprechen?", fragte ich schließlich.
"Senhor Silva ist nicht mehr in Manaus, Miss Vanhelsing", war Eduardos Antwort.
"Ach, nein?"
"Sie kennen ihn doch gut genug, Miss Vanhelsing. Er ist ein Abenteurer. Jemand, den es nicht ewig an einem Ort hält."
"Das ist richtig."
"Eines Tages hatte er die Nase voll von Manaus, vom Amazonas, vom Dschungel, von Brasilien... Er hat die AMAZONAS QUEEN an mich verkauft und ist auf und davon. Keine Ahnung, wo er jetzt steckt..."
"Ich verstehe", murmelte ich.
Eduardo grinste über das ganze Gesicht. "Aber ich fahre Sie ebenso gut überall hin! Ich kenne mich in dieser Gegend aus wie in meiner Westentasche. Jeder noch so kleine Nebenarm des Amazonas ist hier oben drin!" Er tickte dabei an seine Stirn.
"Wir brauchen tatsächlich ein Boot, das uns flussaufwärts bringt."
Eduardo hob die Augenbrauen.
"Wohin?"
"Wir waren schon einmal dort, Senhor Gomes..."
Er schwieg. Sein Gesicht wurde ernster. "Sie sprechen vom HAUS DER GÖTTER, nicht wahr?"
"Ja."
*
Am nächsten Tag brachen wir auf.
Die Crew der AMAZONAS QUEEN bestand neben Eduardo Gomes noch aus Sergio Cunhal, einem hochgewachsenen Mulatten, der nur wenig Englisch sprach. Auch er war auf meiner ersten Reise zum HAUS DER GÖTTER mit von der Partie gewesen. Als dritter Mann gehörte ein zierlich gewachsener Indio namens Saranho zur Besatzung.
Tom und ich bekamen eine relativ große Kabine im Heck.
Innerhalb der Aufbauten gab es sogar eine Art Salon. Die AMAZONAS QUEEN war groß genug, um notfalls zwei Dutzend Personen zu beherbergen. Das es in unserem Fall weniger waren, bedeutete, das das Leben an Bord unkomplizierter sein würde.
Andererseits war Eduardos Boot immer noch klein genug, um auch die schmaleren Nebenarme des sich verästelnden Amazonas durchfahren zu können.
Der Tiefgang war sehr gering, so dass auch Sandbänke und niedriger Wasserstand keine unüberwindlichen Hindernisse darstellten.
Wir hatten die Großstadt Manaus mit ihrem wimmelnden Hafen bald hinter uns gelassen. An den sandigen Flussufern gab es immer wieder angeholzte Flächen. Dörfer waren dort errichtet worden.
Die Häuser und Baracken hatte man schnell zusammengezimmert. Einfache Holzboote lagen am Ufer. Hin und wieder kamen uns Schiffe entgegen, oder wir sahen Fischerboote in den Fluten des gewaltigen Stroms schaukeln.
Der Amazonas war ein dermaßen breiter Fluss, das die Auswirkungen der Gezeiten Hunderte von Kilometern flussaufwärts spürbar waren.
Bis Manaus und darüber hinaus gab es Ebbe und Flut, obwohl die Küste unendlich weit entfernt war. Die blubbernden Motoren der AMAZONAS QUEEN quälten sich gegen die Strömung.
Immer weiter ging es flussaufwärts. Die Zahl der Dörfer am Flussufer nahm ab, die Vegetation dafür zu.
Schließlich waren wir nur noch umgeben von einem grünen, wimmelnden Dschungel, der nur durch die Wassermassen des großen Stroms daran gehindert wurde, weiterzuwuchern. Ein unheimlicher Chor zahlloser Geräusche drang aus dem Regenwald hervor.
Tierische Schreie mischten sich mit Rufen, die so eigenartig waren, dass man sich kaum eine Kreatur vorzustellen vermochte, die sie ausstieß. Vögel stoben aus den Baumkronen der gewaltigen Urwaldriesen empor. Ein modriger Geruch hing über diesem Land. Und eine drückende Hitze, die beinahe unerträglich war.
Die Luftfeuchtigkeit war mörderisch. Sie wirkte geradezu lähmend. Manchmal hatte ich das Gefühl, nicht einmal mehr zu einem klare Gedanken fähig zu sein.
In Manaus hatte dasselbe schwüle Klima geherrscht. Aber man konnte zwischendurch immer wieder in die klimatisierten Hotel-Areale 'flüchten', um sich dort etwas zu erholen und mal wieder tief durchzuatmen.
Hier draußen war das unmöglich.
Die Dämmerung legte sich grau über den Dschungel.
Und wir hofften alle auf etwas Abkühlung in der Nacht - auch wenn die nur gering sein würde. Aber für jedes Grad war man hier schon dankbar.
Eduardo und Sergio lösten sich regelmäßig am Ruder ab.
Saranho hingegen stand die meiste Zeit über reglos am Heck und beobachtete den Dschungel am Ufer.
Tom unterhielt sich etwas auf Portugiesisch mit ihm. Es stellte sich heraus, das er auch etwas Englisch sprach - beides aber nur gebrochen.
"Du - für Zeitung arbeiten?", fragte er.
Tom
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