Die Geheimnisse der Therapeuten
Kinderbetreuungsplatz zu finden (die sich je nach den familiären, wirtschaftlichen und sozialen Umständen mehr oder minder leicht lösen lässt), und die schlechteren Entwicklungschancen im Beruf. Das Wort »Entwicklungschancen« ist in dem Sinne zu verstehen, dass man sich einerseits in das Arbeitsumfeld integriert und andererseits Zugang zu Aufstiegsmöglichkeiten und verantwortlichen Positionen hat.
In der Arbeitswelt hat man sich niemals ernsthaft mit dem Eintritt der Frauen auseinandergesetzt.
In der psychiatrischen Sprechstunde drücken die Frauen ihr Gefühl der Ãberforderung aus. Sie sprechen von ihrer Müdigkeit, ihrer Depression, ihren Ãngsten und den Mitteln, die sie benutzen, um Stress loszuwerden. Dann kommen regelmäÃig viele Fragen, die sich um ihre bedrohte Weiblichkeit drehen, denn diese ist eingezwängt zwischen zwei paradoxen Botschaften: »Seid Frauen«, sagt man ihnen, »aber bitte nicht allzu sehr.« Wie soll man seine Weiblichkeit ausdrücken, wenn man ständig unter Hochdruck arbeitet, ohne zu merken, wie die biologische Uhr tickt? Und wenn den Frauen klar wird, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt manchmal zu spät ist, um ihren Wunsch nach einer Familie zu realisieren, haben sie das Gefühl, dass sie, obwohl sie in sozialer Hinsicht mehr als ihre Mütter erreicht haben, in anderen Bereichen einen Verlust erlitten haben. Das Paradigma der Unternehmenswelt gründet auf Methoden, die nach veralteten männlichen Kriterien ersonnen wurden. In der Arbeitswelt hat man sich niemals ernsthaft mit dem Eintritt der Frauen auseinandergesetzt. Im Ãbrigen gesteht eine groÃe Anzahl von ihnen, dass sie sich in Männer »verwandeln« mussten, um Erfolg zu haben. Faktisch werden Frauen, die das ablehnen, oft von Führungspositionen ferngehalten, auch wenn sie immer besser ausgebildet sind und ihre Leistungen auÃer Frage stehen. Ihren groÃen Bemühungen steht oft ein ebenso groÃer Mangel an Anerkennung gegenüber. Ihr Schweigen und ihre Schuldgefühle bleiben mehrdeutig, aber zahlreiche Verantwortlichen scheinen sich damit zufriedenzugeben, dass die Erschöpfung ihrer Mitarbeiterinnen sich nicht lautstark äuÃert.
Frau sein ist keine Krankheit
Einige Frauen erleben diese Situation der Unterlegenheit wie ein unabwendbares Schicksal. Aus dieser stummen chronischen Ãberzeugung möchte ich sie herausholen. Ich gehöre nicht zu denen, die wie Ibn Khaldun glauben, dass » die Neigung zur Tyrannei und gegenseitigen Unterdrückung in der Natur des Menschen liegt« 24 , sondern ich meine, dass man die Zukunft verbessern kann, denn es gibt Lösungen. Um Sie davon zu überzeugen, stelle ich Ihnen einige Ausschnitte von typischen Lebensläufen heutiger erwerbstätiger Frauen vor, und anschlieÃend werde ich einige MaÃnahmen erörtern, mit deren Hilfe Sie sich in Ihrer Haut als Frau wohler fühlen können.
24 Ibn Khaldun: Die Muqaddima. Beck, München 2011.
Wer hütet die Kinder?
Clara, Musikerin, hatte ihr Leben lang pausenlos gearbeitet, ohne zu merken, wie die Zeit verrann, und ohne eine stabile Partnerschaft aufzubauen. Immer noch ledig und mittlerweile in die Jahre gekommen, beschloss sie, wie es in einem anderen Chanson heiÃt, »ganz allein ein Kind zu machen«. Ihre Schwangerschaft war zweifellos die schönste Zeit ihres Lebens, ihr Glück schien mit den Händen greifbar. Dann begann für Clara wie für alle zukünftigen Mütter in Frankreich ein langer Hindernislauf, eine wahre Gralssuche nach einem Krippenplatz. Ihre Bemühungen waren fruchtlos, und selbst alternative Möglichkeiten der Kinderbetreuung kamen nicht zustande. Doch daran sollte es nicht scheitern. Clara gehörte nicht zu den Frauen, die sich entmutigen lassen: Dann würde sie das Kind eben selbst betreuen, indem sie von zu Hause aus arbeitete.
Isolation, soziale Unsicherheit, Depression
Die Euphorie der ersten Lebenswochen mit ihrem Sohn machte nach und nach den Schwierigkeiten Platz. Die Aufträge lieÃen sich unmöglich in Heimarbeit realisieren, weil die Kunden irgendwann immer einen direkten Kontakt forderten. Clara wurde von ihrem beruflichen Umfeld immer weniger unterstützt und schlieÃlich ganz ins Abseits gedrängt. Das Ergebnis? Ein Absturz in die soziale Unsicherheit.
Ein solcher Verlauf ist leider sehr typisch. Eine Untersuchung aus dem Jahre 2002 ergab, dass
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