Die Geheimnisse der Therapeuten

zeichne mir ein Schaf‹ …«, erzählt Antoine de Saint-Exupéry. Vielleicht erinnern Sie sich, dass er nach mehreren missglückten Versuchen schließlich eine Kiste zeichnet und hinzufügt: »Dein Schaf ist da drin.« Im gleichen Sinne möchte ich sagen, dass der Reichtum, den die Übungen in der Praxis bringen, die Theorie übertrifft.
    Keine Therapie ohne Herz
    Da »man nur mit dem Herzen gut sieht und das Wesentliche für die Augen unsichtbar« ist (und sich dem Denken entzieht), ist der therapeutische Weg jener des Gefühlten und Erlebten. Am Ende einer Therapie, in der letzten dem gemeinsam definierten Ziel gewidmeten Stunde (das Schaf, das sie gesucht hatte, schien zum Vorschein zu kommen), teilte mir Marie bereitwillig mit, was für sie auf dem von uns zurückgelegten therapeutischen Weg wichtig gewesen war: »Besonders Ihre wohlwollende, positive Haltung, diese gemeinsame Zuversicht, was unseren heranwachsenden Sohn angeht, und die Geschichte vom angebundenen Elefanten, der nach seiner Dressur in der Kindheit resigniert hatte, die Sie mir am Anfang erzählt haben.« Bei einer Therapie gibt es viel effiziente technische Arbeit, die in solchen emotionalen Höhepunkten gipfelt.
    Kindermund tut die Wahrheit des Herzens kund. Es war ein Wochenende im Dezember, wir waren müde und gereizt. Meine sechsjährige Tochter nahm mich nach einem flüchtigen Zusammenstoß, den ich mit ihrer älteren Schwester hatte, beiseite und sagte zu mir: »Papa, sie ist wütend. Entschuldige dich bei ihr und gib ihr ein Küsschen.«
    Meine Schlüsselgedanken
    â€“ Meine Vorstellung von der Rolle des Psychotherapeuten beinhaltet, dass man das, was man anderen empfiehlt, selbst praktiziert hat.
    â€“ Unsere Fehler sind der Weg zum Erfolg, wenn wir es wagen, unsere Probleme anzuschauen.
    â€“ Wir sollten den Mut aufbringen, uns unseren Ängsten zu stellen.
    â€“ Hilfe akzeptieren zu können erfordert auch großes eigenes Engagement.
    â€“ Dem regelmäßigen Training mit klar definierten Übungen gebührt ebenfalls ein Platz in der Psychotherapie.
    â€“ Die kognitive Therapie ist eine gesunde Geistesgymnastik, die zu emotionalem Wohlbefinden führt.
    â€“ Was man sich erworben hat, sollte man jeden Tag von Neuem pflegen.
    â€“ Therapien und ein achtungsvoller Umgang mit dem Körper ergänzen sich.
    â€“ Nur mit der Präsenz des Herzens und Aufrichtigkeit wirken.

    Die unauflösliche Verbindung zwischen Körper und Geist
    Als ich in diesem Sommer bei einem Tunesienaufenthalt, zu dem mich die Familie meines Freundes Abdel freundlich eingeladen hatte, zusammen mit ihm die Vorschriften des Ramadan einhielt, bekam ich ein genaues Gespür für die Verbindung von Körper und Geist. Wir erlebten zusammen unsere schwankende Verfassung – von der Austrocknung am späten Nachmittag bis zur Sättigung am frühen Abend –, sei es in Form von Reizbarkeit, von harmlosen Streitigkeiten gegen sechs Uhr abends bis hin zur freundschaftlichen Versöhnung danach.
    Ich bin Psychiater und Arzt und kann mir nicht vorstellen, dass man geistige Fortschritte machen kann, wenn man den Körper ignoriert. In dieser Hinsicht ist die bipolare Störung, mit der ich viel zu tun habe, ein perfektes Beispiel. Das gefährliche Auf und Ab der Laune, mal melancholisch, mal euphorisch, ist erwiesenermaßen die Folge einer anfälligen Hirnfunktion, die von der Psyche gefärbt, überaktiviert oder gebremst wird. Aber da die behutsame Durchführung einer medikamentösen und psychiatrischen Behandlung nur möglich ist, wenn der Betroffene freiwillig mitmacht, scheint mir eine psychotherapeutische Begleitung sehr wichtig.
    Wenn Sie unter Schlafmangel oder einer körperlichen Krankheit litten, haben Sie wahrscheinlich selber mehr oder weniger gemerkt, dass »der Geist der Narr des Körpers« ist, wie Voltaire sagte. Daher bemühe ich mich, für mein körperliches Gleichgewicht Sorge zu tragen, um damit gleichzeitig mein psychisches Wohlbefinden sicherzustellen: mit Sport, Zeit zum Entspannen und Ausruhen. Ich habe inzwischen das Tennisspielen aufgegeben, weil es für mich zu sehr den Geist der Konkurrenz und Selbstüberwindung atmet, der sich manchmal negativ auf die Gesundheit auswirkt, und mir stattdessen Hobbys zugelegt, die Wohlbefinden erzeugen und dazu beitragen, in Form zu bleiben. Das schließt