Die Geheimnisse der Therapeuten
Amt in der öffentlichen Verwaltung. Um diese Stelle zu bekommen, musste sie schwierige Phasen durchstehen, die mit Opfern, Zweifeln und Sich-infrage-Stellen einhergingen. Seitdem einige Frauen auf verantwortungsvollen Posten sitzen, grassiert das Vorurteil, dass sie dafür mit jemandem ins Bett gegangen sind. Dieser absurde Gedanke ist immer noch sehr verankert in einer Arbeitswelt, die für Männer und von Männern gemacht wurde. Diejenigen, die solche Dummheiten verbreiten, können sich nicht vorstellen, dass sie beim beruflichen Aufstieg einer Frau keine Rolle gespielt haben könnten. Falls die Frauen sich dieses Mittels nicht bedient haben, dann, so lautet das gängige Vorurteil, haben sie es mit anderen Mitteln bewerkstelligt. Vor diesem Hintergrund chauvinistischer ÃuÃerungen und des Umstands, dass man sie mundtot machte, dessen Wirkung sie erst viel später erkannte, musste Muriel ihren beruflichen Weg gehen. Sie brachte doppelt so viel Energie und berufliches Engagement auf, damit man die RechtmäÃigkeit ihrer Position nicht anzweifelte. Ich sah sie zum ersten Mal, als sie wegen einer chronischen Erschöpfung zu mir kam, die sie auf ihre Art selbst therapiert hatte: mit Medikamenten und Alkohol. Sie hatte sich in einem Job verausgabt, aus dem sie keinerlei Befriedigung mehr zog.
Die Mobbing-Spirale
Ihr neuer Vorgesetzter, ein Mann, den sie als pedantischen und unsympathischen Tyrannen beschrieb, hatte beschlossen, diese stolze Frau von stählernem Charakter zu brechen, weil er ihre Autonomie nicht schätzte. Sie war nicht sein erstes Opfer, aber auf die anderen, die jünger waren, übte seine Macht eine gewisse Faszination aus. Muriel hatte ihn nie angehimmelt, nur weil er ihr Vorgesetzter war. In keiner Weise von seinen Drohungen beeindruckt, hatte sie weitergemacht wie bisher, ohne die Attacke kommen zu sehen. Allerdings hatte dieser Mann sofort ein ungutes Gefühl bei ihr ausgelöst. Wie sie mir sagte, lief es ihr bei seinem Anblick »kalt den Rücken hinunter«. Kann man dieses Gefühl als Zeichen für ihr Gespür ansehen, dass sie es mit einem Mobber zu tun hatte? Vielleicht, denn tatsächlich erwies sich dieser Chef als wahres Raubtier.
Dennoch reagierte sie nicht und begnügte sich damit zu glauben, dass sie wie immer die Oberhand gewinnen würde. Sie rechnete nicht mit der typischen Hartnäckigkeit solcher Naturen, die nur von dem Leiden leben, das sie ihren Opfern zufügen. Von heimtückischen Bemerkungen unter vier Augen ging er dazu über, sie öffentlich durch autoritäre und widersprüchliche E-Mails im Befehlston unglaubwürdig zu machen. Muriel ging rasch zu Boden, und das war der Anfang eines Albtraums, dessen Tragweite sie erst mit der Zeit erkannte. Sie war Opfer einer echten Mobbing-Attacke mit den bekannten Anzeichen: Angst, zur Arbeit zu gehen, ständige ängstliche Grübeleien, unruhiger Schlaf, Albträume, in denen sie ihn sah.
Das Schweigen ist das Terrain, auf dem bösartige Menschen gedeihen.
Muriel verlor den Appetit und begann abzumagern. Sie glitt immer mehr in die Depression ab. Aus Stolz, aber vor allem weil sie immer noch glaubte, wieder die Oberhand gewinnen zu können, bewahrte sie Stillschweigen. AnschlieÃend appellierte sie an andere Opfer; diese wollten sie nicht offiziell unterstützen, weil sie Repressalien befürchteten. Das Schweigen ist das Terrain, auf dem bösartige Menschen und die von ihnen geschaffenen unerträglichen Situationen gedeihen, deren Folgen wir in unserer Sprechstunde zu sehen bekommen. Da ihre Angriffsstrategie im Allgemeinen mit einer »untadeligen« Haltung gegenüber den Vorgesetzten einhergeht, schaffen sich diese Bürobestien eine wirkliche Position der Stärke, die sie vor jeder Denunziation schützt.
Sich aus dem Abgrund der Schuldgefühle wieder erheben
Muriel sprach über ihre Schwierigkeiten schlieÃlich mit der Personalleiterin, aber sie erhielt als Antwort: »Du weiÃt selbst, dass du deinen Dickkopf hast und nicht leicht im Umgang bist.« Sie glaubte diesen Aussagen, weil sie darin eine Wertschätzung sah. Aber eine solche Anerkennung ist oft eine Falle; sie ist nur Sand, der den Betroffenen in die Augen gestreut wird, und dient der Beruhigung oder Beschwichtigung, wenn jemand nicht eingreifen will. Allzu oft müssen Frauen auf diese Weise Urteile über sich ergehen lassen, die sie demütigen,
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