Die Geheimnisse der Therapeuten
64 Prozent der Kinder unter drei Jahren von ihren Eltern betreut werden, wobei die Mutter bei über 50 Prozent der Kinder allein die Betreuung übernimmt. 25 Was soll man also von Frauen sagen, die ihre Kinder allein erziehen müssen? Heutzutage gibt es etwa 2,4 Millionen Kinder, die bei einem einzigen Elternteil leben, am häufigsten bei der Mutter. 26 Eine alleinerziehende Mutter entgeht nur schwer dem sozialen Absturz, der häufig selbst die Ursache von psychischen Störungen bildet, die sich oft auf die Kinder auswirken. Clara erlebte nach der Geburt ihres Sohnes eine wahre Talfahrt: beruflich, psychisch und sozial. Sie fühlte sich schuldig, wenn sie manchmal der Gedanke überkam, dass vielleicht ihr Sohn für diese Situation verantwortlich sein könnte. »Dieses Kind habe ich gewollt, und ich bin dafür verantwortlich!«, sagte sie wütend. »Darf man sein Kind im Stich lassen, damit man menschenwürdig leben kann?«
25 Isabelle Germain: »Et si elles avaient le pouvoir⦠«, in à dire vrai , Larousse, Paris 2009, S. 107. Eine Untersuchung über die Betreuung von Kindern unter sieben, durchgeführt 2002 vom französischen Amt für Statistik DREES. Die Zahlen sind fast unverändert geblieben.
26 Anne Eydoux, Marie-Thérèse Letablier und Nathalie Georges: Les Familles monoparentales en France , Insee-Institut, Juni 2007.
Der Konflikt zwischen Kindern und Beruf und das unvermeidliche Opfer, das daraus resultiert, scheinen leider das tägliche Los zahlreicher Mütter zu sein, die keine Alternative für die Kinderbetreuung haben und derart erschöpft sind, dass sie es aufgeben, Hilfe zu fordern. Clara isolierte sich immer mehr und brach jeden Kontakt zu ihrer Familie und ihren Freunden ab. Als einzige Ansprechpartnerin blieb ihr nur noch die Sozialhelferin der Gemeinde. Gepeinigt von Schuldgefühlen, abgestürzt in einen Abgrund von Pessimismus, versank sie langsam in einer Depression, die es ihr nicht erlaubte, wieder auf die Beine zu kommen. Obwohl sie zu viele Beruhigungsmittel nahm, die sie abstumpften, blieb ihr noch genug innere Klarheit, um sich deutlich zu machen, dass es gut wäre, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Als sie zum ersten Mal in meine Sprechstunde kam, ohne Aussicht auf eine Arbeit und abhängig von Sozialhilfe, brach sie unter der Last ihrer Schulden fast zusammen und litt an ihrer Depression. Hinter der Wand ihres psychischen Schmerzes sah ich eine mutige Frau, stark und entschlossen, aber gebrochen von den Qualen des Lebens und durch die ständige Verschlechterung ihrer Situation aus der Bahn geworfen. Gewiss war wie auch bei so vielen anderen Frauen die mangelnde soziale und familiäre Unterstützung zum groÃen Teil der Ausgangspunkt ihrer augenblicklichen Not. Doch bei ihrem Versuch, ihr Leben selbst zu bestimmen, übersah Clara ein existenzielles Unglücklichsein, das sich als echte Depression enthüllte. Diese Frau hatte den schwindelerregenden Absturz erlebt, der die ungerechte Strafe für jene ist, die »zu viel« wollen. Im Grunde bestand Claras einziger Irrtum darin, Mutter sein zu wollen und so zu tun, als könnte sie beruflich weitermachen wie bisher. Das soziale Fallbeil ging auf sie nieder, und sie erlebte die negative Reaktion als Sanktion.
Wieder Selbstvertrauen gewinnen, um sich zu befreien
Aus medizinischer Sicht bestand die dringende Notwendigkeit, sie aus diesem lähmenden Gefühl einer grundlegenden Unfähigkeit herauszuholen und ihr wieder Selbstvertrauen einzuflöÃen. Die Depression musste schnell behandelt werden, und sie musste wieder auf die Schiene der Resozialisierung gesetzt werden. In Frankreich sind die Gesundheitsdienste, wenn sie gut funktionieren, so organisiert, dass der Patient umfassend betreut wird: medizinisch, psychologisch, aber auch sozial. Ich schlug Clara eine medikamentöse Behandlung vor, zusammen mit einer engmaschigen psychotherapeutischen Begleitung, die am Anfang im Wesentlichen auf positiver Verstärkung beruhte: »Nein, Clara, das ist nicht Ihre Schuld. Sie haben Charakterstärke bewiesen, dass Sie sich Ihren Wunsch erfüllt haben. Doch wie auch andere Frauen und Familien sind Sie Opfer einer Ungerechtigkeit geworden. Glücklicherweise ist Ihnen der anomale Aspekt Ihres Zustands aufgefallen, und Sie sind hergekommen. Wir werden die Sache gemeinsam in die Hand nehmen. Ihr Kind ist inzwischen gröÃer, Sie
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