Die geheimnißvolle Insel
Wälder des fernen Westens krachte, galt einem schönen Vogel, dessen Erscheinung der eines Taucherkönigs auffallend ähnelte.
»Ich kenne ihn wieder! rief Pencroff, der jenen Schuß fast gegen seinen Willen abgefeuert hatte.
– Wen erkennen Sie? fragte der Reporter.
– Den Vogel, der uns bei unserem ersten Ausfluge entwischte und nach dem wir damals dem ganzen Walde den Namen gaben.
– Ein Jacamar!« rief Harbert freudig.
Wirklich lag ein Jacamar, ein schöner Vogel, dessen starkes Gefieder in metallischem Glanze spielte, von einigen Schrotkörnern zu Boden gestreckt, vor ihnen, den Top zum Canot hintrug. Bald apportirte er auch etwa ein Dutzend »Turaco-Loris« (d.s. Kukukspapageien), eine Art Klettervögel von Taubengröße, mit schönem grünem Gefieder, einem carmoisinrothen Streifen längs der Flügel und einer aufrecht stehenden Federhaube mit weißem Rande. Der junge Mann, dem die Ehre der Erlegung dieser Beute zufiel, zeigte sich nicht wenig stolz darüber. Die Loris lieferten übrigens auch ein dem Jacamar weit vorzuziehendes Fleisch, denn das des letzteren ist etwas zähe. Nichtsdestoweniger hätte Niemand Pencroff überzeugen können, daß er nicht den König der eßbaren Vogelwelt getödtet habe.
Gegen zehn Uhr Morgens erreichte die Pirogue eine zweite Biegung der Mercy, etwa fünf Meilen von ihrer Mündung. An dieser Stelle machte man unter dem Blätterdache großer und schöner Bäume einen halbstündigen Halt, um zu frühstücken.
Noch immer maß der Fluß bei fünf bis sechs Fuß Tiefe wohl sechzig bis siebenzig Fuß in der Breite. Der Ingenieur hatte beobachtet, daß zahlreiche Zuflüsse, doch immer nur unfahrbare Wildbäche, seine Wassermenge vergrößerten. Der Wald selbst, im ersten Theile als Jacamar-Wald, dann als der des fernen Westens, erstreckte sich ohne sichtbare Grenze weiter. Nirgends, weder im Hochwalde, noch an den Ufern der Mercy fand man die Spur eines Menschen. Offenbar hatte weder jemals die Axt des Holzhauers diese Bäume verwundet, noch das Messer eines Pionniers die von einem Stamme zum andern verlaufenden Lianen zwischen dem langen buschigen Graswuchs durchschnitten. Befanden sich also Schiffbrüchige auf der Insel, so konnten sie das Uferland noch nicht verlassen haben, und jedenfalls waren in diesem dichten Pflanzenlabyrinthe keine Ueberlebenden jenes vorausgesetzten Unglücksfalles zu suchen.
Der Ingenieur zeigte deshalb immer eine gewisse Eile, die seiner Schätzung nach fünf Meilen entfernte Westküste der Insel Lincoln zu erreichen. Man setzte also die Wasserfahrt fort, und obwohl die Richtung der Mercy thatsächlich nicht nach dem Uferlande, sondern nach dem Franklin-Berge führte, so sollte die Pirogue doch so lange benutzt werden, als sie genügend Fahrwasser hatte. Außer an Anstrengung ersparte man hierdurch auch an Zeit, denn durch den dichten Wald konnte ein Pfad nur mit der Axt in der Hand gebrochen werden.
Bald ging freilich die Unterstützung der Fluth ganz verloren, ob nun die Ebbe wieder eintrat – und der Zeit nach konnte das wohl der Fall sein – oder jene nicht bis auf diese Entfernung von der Mündung der Mercy landeinwärts fühlbar war, jedenfalls mußte man zu den Rudern greifen. Nab und Harbert nahmen auf der Ruderbank Platz, Pencroff handhabte den Bootsriemen, und so fuhr man weiter stromauf.
Endlich schien sich der Wald nach der Seite des fernen Westens hin zu lichten; die Bäume standen daselbst minder dicht, ja, manchmal gar vereinzelt. Doch bei den größeren Lücken zwischen denselben gediehen sie auch besser und boten wirklich einen prächtigen Anblick.
Welch’ herrliche Muster der Waldflora dieser Breite zeigten sich da! Einem Botaniker von Fach hätten diese gewiß allein schon genügt, den Breitengrad der Insel Lincoln zu bestimmen.
»Da, Eucalypten!« rief Harbert.
Es waren in der That jene stolzen Bäume, die letzten Riesen der außertropischen Zone, Verwandte der Eucalypten in Australien und Neu-Seeland, die beide in der nämlichen Breite wie die Insel Lincoln liegen. Einige derselben erhoben sich wohl bis auf zweihundert Fuß. Ihr Stamm maß am untern Theile zwanzig Fuß im Umkreise, während die Rinde, über welcher netzförmige Streifen eines wohlriechenden Harzes verliefen, wohl fünf Zoll Dicke hatte.
›Kennst Du diese Pflanze?‹ (S. 268)
Nichts Prächtigeres, aber auch nichts Sonderbareres, als diese Riesenproben aus der Familie der Myrtaceen, deren Blätterwerk dem Lichte die scharfe Kante zukehrt
Weitere Kostenlose Bücher