Die geheimnißvolle Insel
Vielleicht täuschten sie sich nicht, als sie im Walde, sowohl auf der Erde als in den Aesten, die Schatten einiger Thiere sie umschleichen zu sehen glaubten; doch verlief die Nacht ohne Störung, und am folgenden Tage, am 31. October, waren Alle schon um fünf Uhr Morgens zum Aufbruche bereit.
Viertes Capitel.
Auf dem Berge nach der Küste. – Einige Trupps Vierhänder. – Ein neuer Wasserlauf – Warum die Fluth sich nicht bemerkbar macht. – Ein Wald als Strand. – Das Schlangenvorgebirge. – Gedeon Spilett erregt Harbert’s Neid. – Das Knattern des Bambus.
Um sechs Uhr Morgens gleich nach dem ersten Frühstück begaben sich die Colonisten auf den Weg, um die Westküste der Insel in directester Richtung aufzusuchen. In welcher Zeit durften sie dieselbe wohl zu erreichen hoffen? Cyrus Smith hatte von zwei Stunden gesprochen, allein das hing offenbar von der Natur der etwa entgegenstehenden Hindernisse ab. Dieser Theil des fernen Westens war dicht mit Bäumen und Unterholz bestanden und bildete eine Waldung aus den verschiedensten Baumarten. Wahrscheinlich mußte man sich erst mit der Axt in der Hand einen Pfad durch diese Sträucher, Schilfgräser und Lianen brechen und immer das Gewehr bereit halten, wenn man dem in der Nacht gehörten Gebrülle wilder Thiere Rechnung tragen wollte.
Die Stelle des Nachtlagers konnte durch die Situation des Franklin-Berges genau bestimmt werden, und da sich der Vulkan mindestens drei Meilen entfernt im Norden erhob, so brauchte man nur in gerader Richtung nach Südwesten zu wandern, um auf die Westküste zu treffen.
Nach sorgsamer Prüfung der Befestigung des Canots brach man auf. Pencroff und Nab trugen die Provisionen zur Unterhaltung der kleinen Gesellschaft während zweier Tage. Es handelte sich jetzt nicht darum, zu jagen, und der Ingenieur empfahl seinen Begleitern sogar, durch keine unzeitige Detonation ihre Anwesenheit auf dem Küstengebiete zu verrathen.
Ein wenig oberhalb des Wasserfalles kam die Axt bei der Durchbrechung dichter Mastixgebüsche zum ersten Male zur Verwendung, wobei Cyrus Smith, den Compaß in der Hand, die Richtung des Weges angab.
Der Wald bestand in der Hauptsache aus Baumarten, denen man schon in der Umgebung des Sees und des Granithauses begegnet war, nämlich Deodars, Douglas, Casuarinen, Gummibäume, Eucalypten, Drachenbäume, Hibiscus, Cedern und anderen Gattungen von mittelmäßiger Entwickelung, da ihr dichter Schatten dieser hinderlich gewesen zu sein schien. Auf diesem Wege, den sie sich fast Schritt für Schritt erst bahnen mußten, kamen die Colonisten natürlich nur sehr langsam vorwärts. Nach Ansicht des Ingenieurs sollte sie derselbe irgendwo mit dem Rothen Fluß zusammen führen.
Von ihrem Aufbruche ab folgten die Colonisten den tiefen Abhängen, die das orographische System der Insel bildeten, auf einem sehr trockenen Boden, dessen üppige Vegetation indessen entweder ein Netz von Wasseradern im Boden selbst, oder die Nachbarschaft eines ernährenden Baches vermuthen ließ. Doch erinnerte sich Cyrus Smith seit der Excursion nach dem Krater keines anderen Wasserlaufes, als des Rothen Flusses und der Mercy.
In den ersten Stunden traf man wiederholt auf Affenbanden, die über den ihnen neuen Anblick eines Menschen äußerst erstaunt schienen. Gedeon Spilett warf scherzend die Frage auf, ob die gewandten und kräftigen Vierhänder ihn und seine Begleiter nicht etwa für aus der Art geschlagene Stammverwandte ansehen möchten. In Wahrheit machten die einfachen Fußgänger, deren Schritte durch Gebüsche gehemmt, durch Lianen aufgehalten und durch Baumstämme verlangsamt wurden, keinen besonderen Eindruck gegenüber jenen gelenkigen Thieren, die von Zweig zu Zweig hüpfend, kein Hinderniß kannten. Die Affen tummelten sich in zahlreichen Schaaren umher, verriethen aber glücklicher Weise keinerlei feindliche Absichten.
Auch einzelne Eber, ferner Agoutis, Kängurus nebst anderen Nagern, sowie zwei oder drei Kulas, die Pencroff gern mit einer Bleiladung begrüßt hätte, kamen zu Gesicht.
»Indessen, sagte er, die Jagd ist noch nicht aufgegangen. Jetzt springt noch umher, ihr Freunde, und flattert im Frieden Bei der Rückkehr werden wir zwei Worte mit Euch reden!«
Um neun und ein halb Uhr Morgens wurde der direct nach Südwesten führende Weg plötzlich durch einen bis dahin unbekannten Wasserlauf unterbrochen, der bei dreißig bis vierzig Fuß Breite eine lebhafte Strömung zeigte. Sein Bett erwies sich nämlich als
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