Die Geisel
mich weiter so zu verarschen. Schlimm genug, dass ich mir diesen Scheiß mal angehört hab. Und jetzt versuchst du, mir das noch mal anzudrehen. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«
Romero saß einen Moment lang still da. Der leichte Wind kühlte seine überhitzten Wangen.
»Was willst du?«, fragte er schließlich ruhig.
»Ich melde mich krank, nehme meine Überstunden und meinen Resturlaub … Ich fahre eine Weile nach Hause.«
»Mexiko?«
Sie nickte.
»Deinen Mann zurückholen?«
»Das hat nichts mit Esteban zu tun«, wehrte sie ab. »Esteban ist ein Schwächling und ein Versager. Hat's nicht ausgehalten, von den Gringos gedemütigt zu werden. Den kann ich auch nicht mehr brauchen. Ich hab einfach genug von dem allen hier. Ich muss mal 'ne Weile hier raus.«
»Ist sowieso egal«, sagte er. »Bei allem, was gerade los ist … Ich kann dir auf keinen Fall so viel freigeben. Verdammt noch mal, die von Randall würden durchdrehen, wenn ich …«
Sie wurde lauter. »Die Unterlagen liegen auf deinem Schreibtisch. Unterschreib sie. Wenn du nicht willst, dass ich mich mal mit deiner kostbaren Frau unterhalte, dann unterschreib die verdammten Papiere.«
»Versuch bloß nicht, mir zu drohen«, warnte er sie.
»Du hast mir nicht eine Minute was vormachen können, Elias Romero. Ich wusste, was du von mir wolltest. Du bist genau wie alle anderen.«
»Wenn du alles wusstest, Baby«, höhnte er, »wieso bist du dann so sauer?«
»Ich bin sauer, weil du mich das hast glauben lassen. Weil du wusstest, dass eine Frau sich von ihrem Herzen leiten lässt, und du zugesehen hast, wie ich mich an dich verloren habe, und nichts dazu gesagt hast. Mein Herz war dir lange nicht so wichtig wie dein Schwanz.«
»Nichts ist so wichtig«, sagte er mit einem anzüglichen Lächeln.
»Das ist ja das Traurige daran, Mr. Elias Romero. Herzen sind dir egal, weil du nicht mal zwei Prozent Menschenfreundlichkeit in deinem armseligen Hintern hast. Du bist lächerlich, das ist es, was du bist.«
Bevor er etwas erwidern konnte, glitt ihr Fenster wieder hoch. Als er dazu ansetzte, eine Antwort gegen die getönten Scheiben hervorzusprudeln, hatte sie bereits den Rückwärtsgang eingelegt. Sie setzte zurück, wendete hinter seinem Heck und brauste mit röhrendem Motor in einer Staubwolke den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Elias Romero blieb noch anderthalb Minuten hinter seinem Lenkrad sitzen und verfluchte sie. Dann sah er seufzend auf die Uhr, verfluchte sie noch einmal, setzte seinen Wagen in Bewegung und fuhr in die Stadt zurück.
Der Parkplatz des Gemeindezentrums von Musket platzte bereits aus allen Nähten. Es sah aus, als stünde jeder Übertragungswagen des ganzen Landes hier und habe sein blindes weißes Auge in den Himmel gerichtet. Drinnen war der Laden bis unters Dach voll mit Reportern.
Nachdem das Verwaltungsgebäude des Gefängnisses kaum mehr als ein Haufen Schutt war, war das Gemeindezentrum im Umkreis von fünfzig Meilen das einzige Bauwerk, das groß genug war, um eine Pressekonferenz abzuhalten. Er hatte am anderen Ende der Stadt parken und zu Fuß gehen müssen.
Als er endlich auf dem Podium Platz nahm, war Asuega schon damit fertig, den Angehörigen derjenigen, die während des Aufstandes umgekommen waren, im Namen der Randall Corporation sein aufrichtiges und tief empfundenes Beileid auszusprechen und sein ernsthaftes Bedauern darüber zu äußern, dass ein solcher Zwischenfall überhaupt geschehen konnte. Gerade versicherte er der verehrten Zuhörerschaft, dass alle Abläufe in Hinblick auf die Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen noch einmal überprüft würden, obwohl die Vollzugsanstalt bereits Amerikas sicherstes Hochsicherheitsgefängnis war.
Er machte eine kleine Pause, ordnete seine Stichwortkarten neu und fuhr fort:
»Derzeit ist der Aufenthaltsort von drei Personen noch nicht bekannt.« Erwartungsvolles Gemurmel erhob sich in der Menge. »Zwei Häftlinge und ein Zivilist.« Das Gemurmel wurde lauter. »Sträfling Nummer neun-neun-drei-sechs-vier. Clarence Albert Kehoe. 1978 zum ersten Mal im Staat Mississippi inhaftiert, wegen dreifachen Totschlags bei einer Kneipenschlägerei. 1980 für schuldig befunden, einen Mithäftling getötet zu haben, und in ein Hochsicherheitsgefängnis in Walla Walla im Bundesstaat Washington überführt, wo er erneut einen Mitgefangenen umbrachte. Verdächtigt, weitere vier Insassen getötet zu haben, und als notorisch Straffälliger bekannt, wurde er
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