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Die Geisel

Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G. M. Ford
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richtige Ort dafür.«
    »Ich lade Sie zum Essen ein. In dem Hotel gibt es ein Restaurant namens …«
    »Mary Elaine's«, ergänzte sie. »Gutes Lokal.«
    Corso glitt auf den Beifahrersitz und schnallte sich an.
    Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Auch noch guten Geschmack, was Restaurants angeht«, sagte sie lächelnd. »Ein Wunder, dass noch keine clevere Frau Sie sich geschnappt hat.«
    Er drehte sich zu ihr um. »Wer sagt denn das?«
    »Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, Mr. Corso.«

29
    »Nett, dass deine Mutter dir immer noch schreibt«, sagte Kehoe.
    Wie versprochen, waren sie auf dem Weg nach Norden. Sie rollten unter einem grauen Himmel dahin, im Radio predigte einer jener düsteren Weltuntergangspropheten, die man nur draußen im Nirgendwo findet. Am östlichen Horizont stachen hier und da silberne Lichtfinger aus den Gewitterwolken herab und suchten den Boden ab, als fahndeten sie nach Sündern.
    »'ne Menge Jungs wandern in den Knast … Die Familien bleiben noch 'ne Weile dran, tun, was sie können, schreiben, besuchen und schicken irgendwelchen Scheiß … Aber, du weißt ja, wie das läuft, Mann, das Leben geht weiter. Die Leute sterben. Die anderen müssen weiterleben. Die können nicht den Rest ihres Lebens damit zubringen, irgend 'nen Knacki mit durchzuschleppen wie 'nen alten Anker. Vielleicht kommt auch jemand anders vorbei. Sie fangen neu an. Neue Namen, an 'nem neuen Ort, wo die Leute sie nicht komisch angucken. Man kann's ihnen ja nich' verdenken, dass sie weitermachen.«
    Er erwartete keine Antwort. Driver war in irgendwelche Fantasiewelten abgetaucht, seit sie vor ein paar Stunden zum Essen und Tanken angehalten hatten. Kehoe klappte die Sonnenblende mit dem Schminkspiegel herunter und betrachtete zum ungefähr fünfzigsten Mal seine neue Frisur.
    Zum ersten Mal hörte er in der Entfernung Donnergrollen und drehte sich zu dem Geräusch um. Das Gewitter holte sie von Osten her ein und trieb einen wogenden Regenvorhang über die Prärie vor sich her. Höchstens noch eine Stunde Tageslicht.
    Er beobachtete das Gewitter aus dem Seitenfenster, als Driver plötzlich zu reden anfing: »Meine Mutter hat nie aufgegeben. Wird sie auch nie tun. Solange wir beide am Leben sind, werde ich immer ihr Sohn sein, und sie wird immer hinter mir stehen. Ganz egal, was ich getan haben mag. Sie wird immer irgendeine Begründung finden, warum es nicht meine Schuld war. Irgendjemanden, den sie dafür verantwortlich machen kann. Was sie betrifft, gehört das zum Muttersein dazu.«
    »Muss schön sein, so jemand zu haben«, meinte Kehoe. »Verdammt, meine Familie war schon kaputt, bevor ich überhaupt aufgetaucht bin. So lang ich mich erinnern kann, bin ich rumgeschickt worden, von meiner Mutter zu meinem Vater, zu Großmama Jean und zu meiner Tante Sophie. Je nachdem, wer gerade aus 'm Knast war und 'n Dach überm Kopf hatte.« Kehoe lehnte sich zurück und begann, seine Zähne mit einem Zahnstocher zu bearbeiten. »Mein Alter war so 'n Typ, der geglaubt hat, 'ne ordentliche Tracht Prügel würde einfach gegen alles helfen. Prügel ein bisschen Religion rein. Prügel den Teufel raus.« Er kicherte. »Ich sag's dir … Du wolltest ganz bestimmt nich' von der Schule nach Hause kommen und meinem Alten erzählen, dass du verdroschen worden bist … Oh nein, Mann … Entweder du bist als Sieger zurückgekommen, oder du hast deinen Arsch lieber gar nicht erst nach Hause geschleppt.«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Weiß keiner«, antwortete Kehoe. »Ist eines Abends aus seiner Lieblingsbar in Greenville in Mississippi raus und seitdem nich' mehr gesehen worden. Ich war zwölf. Ich hab 'n paar Tage gewartet, bis die Erdnussbutter alle war, und hab dann meine Tante Sophie angerufen. Sie ist von Tennessee runtergekommen und hat mich abgeholt.«
    »Was ist mit deiner Mutter?«
    Kehoe dachte darüber nach. »Sie hatte 'n schwaches Herz. Hatte einfach nie die Kraft, die man braucht, um Kinder großzuziehen«, meinte er. »War lange vor ihrer Zeit total fertig. Sophie hat immer gesagt, Gladys war einfach zu gut für diese Welt. Mir kam's immer so vor, als wär's umgekehrt, als war die Welt einfach zu viel für sie oder so. Kaum war ich bei ihr, hat sie mich auch schon wieder dahin zurückgeschickt, wo ich grad hergekommen war.« Kehoe zuckte die Achseln und widmete sich wieder seinem Zahnstocher.
    Regentropfen … diese dicken, silbrigen Tränen, die am Rande eines Sturms fallen, begannen auf das Blech zu trommeln. Sie sahen aus wie

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