Die Geisel
hatte es schon halb durch den Tunnel aus Kameras und Mikrofonen und Aufnahmegeräten geschafft, als ihn jemand mit einer Kamera im Gesicht traf. Ab da wurde es hässlich. Er stieß die aufdringliche Kamera so heftig zurück, dass sie dem Kameramann ins Gesicht schlug, seine Brille zerbrach und ihn rückwärts ins Getümmel taumeln ließ, wo er stolperte und in das Durcheinander aus Füßen und Beinen stürzte. Seine Hilfeschreie erhoben sich über die gebrüllten Fragen und das Gedränge.
Corso fluchte leise und wühlte sich weiter durch die Menge, wie ein Schwimmer gegen den Strom. Eigentlich hatte er den Medien davonlaufen wollen. Er hatte lange Beine und nutzte sie gern. Reporterteams waren bei ihrer Arbeit auf einen relativ kleinen Radius beschränkt. Sie waren auf Stecker und Kabel angewiesen. Außerhalb der Reichweite der Technik waren sie aufgeschmissen.
Doch das hier würde zu einem Problem werden. Er war am hinteren Ende einer Sackgasse aus dem Gebäude gekommen und hatte sich sofort einem Meer aus Fragen brüllenden, Mikrofone schwenkenden Menschen ausgeliefert gesehen, ohne jede Hoffnung auf ein Taxi oder auch nur darauf, die Zufälle des abendlichen Berufsverkehrs als Puffer nutzen zu können.
Er zog das Kinn hoch, um einem Diktiergerät auszuweichen, das ihm ins Gesicht gestreckt wurde. Der Abendhimmel war tiefblau. Der Lärm der Menschen und ihrer Gerätschaften erfüllte die Luft wie ein Schwarm Hornissen. Corso biss die Zähne zusammen und drängte vorwärts.
Mit den Händen schob er die Leute aus dem Weg. Am anderen Ende der Sackgasse, zwischen zwei Wagen der FBI-Spurensicherung, stand ein riesiges braun-weißes Wohnmobil am Straßenrand. Die Vordertür stand offen.
Corso erkannte sie auf den ersten Blick. Melanie Irgendwas, von dieser American Manhunt- Sendung. Er hatte vor fünf oder sechs Jahren mal einen Beitrag dafür gemacht, als er noch für seine Bücher auf Lesereise gehen musste. Sie winkte ihn zu sich. Und dann noch einmal, eindringlicher.
Corso beschleunigte seine Schritte und senkte die Schulter. Wie eine Bowlingkugel walzte er über den Asphalt. Als er das Wohnmobil erreichte, trat sie nach drinnen außer Sicht und hielt ihm die Tür auf.
Corso fühlte, wie sein Gewicht das Wohnmobil auf seinen Stoßdämpfern schaukeln ließ. Die Tür klappte zu, das Schloss klickte, und Stille breitete sich aus wie ein Windhauch. Rasch sah er sich um, nahm jedoch nichts wirklich wahr. Er fuhr sich mit beiden Händen durch sein dichtes schwarzes Haar und holte tief Luft.
»Das ist ja schlimmer als ein Gefängnisaufstand«, sagte er.
Sie lachte. Volltönend und herzlich. Bei dem Geräusch lächelte er unwillkürlich.
»Sie müssen es ja wissen.«
Corso trat in die Mitte des Wagens. Schaute sich um. »Edel«, bemerkte er.
Melanie zuckte die Achseln. »Der stand jahrelang bei ABC herum«, erklärte sie. »Mein Agent hat ihn für mich ausgehandelt, aber ich hab ihn bisher nie viel benutzt.«
Corso beugte sich vor und lugte durch die Vorhänge.
»Fährt das Teil? Ich meine, gibt es einen Fahrer oder so was?«
Sie runzelte die weiße Stirn. »Wieso Fahrer? Ich bin der Fahrer. Was soll das heißen? Wenn Sie mir so kommen, können Sie gleich wieder aussteigen, Mister.«
Corso hob die Hände. »Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich kann manchmal echt blöd sein.«
Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, dass sie dem zustimmte. »Wo wollen Sie denn hin?«
»Egal, nur weg von hier.«
Sie zog die beigefarbenen Vorhänge zur Seite, die Windschutzscheibe und Seitenfenster verdeckt hatten und ließ sich auf den Fahrersitz gleiten. »Zum Flughafen?«
Corso dachte darüber nach. Sie ließ den Motor an.
»Wie wär's mit Scottsdale?«, fragte er.
»Wo in Scottsdale?«
Sie setzte vorsichtig zurück, bis sie auf sanften Widerstand stieß, schlug dann scharf rechts ein und fuhr von der Bordsteinkante weg.
»Das Phoenician«, sagte Corso. »Bringen Sie mich zum Phoenician. Das ist ein Resort an der Scottsdale Road.«
»Ich weiß, wo das ist.«
Ein Dutzend Fotografen rannte vor dem fahrenden Wohnmobil rückwärts und versuchte, durch die Windschutzscheibe Bilder zu schießen. Sie hupte und ließ den Motor aufheulen. Dann beschleunigte sie. Die Paparazzi flossen zur Seite, wie der Ozean vor dem Bug eines Schiffes.
»Wenigstens haben Sie einen guten Geschmack, was Hotels angeht«, sagte sie, als sie sich in den Verkehr nach Süden einfädelte. »Wenn man untertauchen will, dann ist das der
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