Die Geisel von Zir
pferchen und hatten kaum Platz, um sich umzudrehen. Gháshmi kicherte.
»Kein Mann darf diesen Raum betreten, o Herr«, plapperte sie. »Aus einleuchtenden Gründen.« Wieder Kichern. »Ihr seid der erste seit Jahren, aber für Eure Göttlichkeit gilt dieses Verbot natürlich nicht.« Sie warf ihm einen kecken Seitenblick zu. »Wenn Ihr einer von uns befehlen würdet, alles zu tun, was Ihr wünscht, könnten wir Euch nicht widersprechen …«
Reith räusperte sich. »Später vielleicht. Doch zunächst ist mir mehr daran gelegen, mich mit dem Tempel vertrauter zu machen.«
Neben der Treppe, die zum Hauptgang hinaufführte, hingen nebeneinander zwölf kleine Glocken an Eisenstangen, die aus der Wand ragten. An jeder Glocke war das Ende einer Zugstrippe befestigt. Die zwölf Strippen verschwanden in Löchern in der Decke. Eine andere Tempeljungfer saß auf einem Stuhl vor den Glocken und strickte. Sie stand auf und verbeugte sich vor Reith.
»Wie Ihr seht, o Herr«, erklärte Gháshmi, »sind die Glocken alle von verschiedener Größe. Daher haben sie einen verschiedenen Klang. Eines von uns Mädchen muss immer hier sein, auf dass kein Ruf ungehört verhallt. Am Klang erkennen wir, aus welchem Teil des Tempels der Ruf kommt. Wenn die diensthabende Zofe ihren Platz verlässt, um den Ruf zu beantworten, läutet sie das kleine Glöckchen dort, damit sofort eine andere ihren Platz einnimmt. Wir wechseln uns reihum ab.«
»Sehr interessant«, sagte Reith, während er neugierig die Glocken beäugte. »Welche Glocke ruft euch in mein Gemach?«
»Diese dort«, sagte Gháshmi. »Eure Göttlichkeit ehrt uns mit ihrem Interesse.«
Er hörte sich noch ein paar Minuten ihr munteres Geschwätz an und empfahl sich dann unter dem Vorwand, er müsse sich auf den nächsten Gottesdienst vorbereiten.
Als Reith einen Tag später wieder durch die Stadt spazierte, kam er an einem Haus vorbei, dessen Eigentümer gerade das Dach teerte. Interesse heuchelnd, bat er den Krishnaner, herunterzukommen und ihm seine Arbeit zu erklären.
»Als erstes, o göttlicher Herr«, erläuterte der Krishnaner, »stecke ich das kalte Pech in dieses Fass und zünde ein kleines Feuer darunter an. Sobald das Pech geschmolzen ist, schöpfe ich es in einen Eimer, trage ihn auf das Dach und streiche es mit diesem Pinsel auf.«
All das war Reith natürlich bekannt. Trotzdem ließ er den Mann weitererzählen. Plötzlich schaute dieser in seinen Eimer und sagte: »Seht, o Herr, das Pech ist erkaltet und wieder erstarrt! Jetzt muss ich es in das Fass zurückkippen und es erneut zum Schmelzen bringen!«
»Oh, das ist meine Schuld. Ich bitte um Verzeihung!« sagte Reith.
»Aber ein Gott braucht niemals um Verzeihung zu bitten!«
»Ich tue es dennoch. Ein Gott sollte auch niemals sorglos mit dem Gut seiner Gläubigen umgehen. Darf ich einmal das erkaltete Pech sehen?«
»Aber gewiss, Eure Göttlichkeit. Hier.«
Reith grub die Finger in die weiche Masse und holte sich einen Klumpen von der Größe eines Golfballs heraus. Das Pech war noch immer so heiß, dass er sich die Finger verbrannte. Er biss die Zähne zusammen und ließ sich nichts anmerken.
»Darf ich das behalten, damit ich mich immer an meine göttlichen Pflichten erinnere?«
»Eure Göttlichkeit ehrt mich mit ihrer Bitte. Möchtet Ihr den ganzen Eimer?«
»Vielen Dank, guter Mann; das hier genügt mir. Guten Tag.«
Begleitet von seinen Wachhunden, eilte Reith zurück in den Tempel, unterwegs das Pechkügelchen zwischen den Händen hin- und her werfend. Einer der beiden Soldaten, der große, massig gebaute Leutnant Khonj, fragte: »Gestattet Eure Göttlichkeit mir die Frage, was Eure Absicht war, als Ihr um diesen Klumpen Pech batet?«
»Bloß ein kleines Experiment, das mir durch den Kopf ging«, antwortete Reith unbekümmert. »Weißt du nicht, dass ich unter anderem auch der Gott der Erfinder bin? Ich hatte eine Idee für eine neue Vorrichtung.«
»Aber Herr, Ihr hättet doch nur ein Wort zu sagen brauchen, und wir hätten Euch soviel Pech gebracht, wie Ihr wollt!«
»Die Idee kam mir erst in dem Moment, da ich das Pech gewahrte. Ich wollte das Eisen schmieden, solange es heiß ist, wie man bei uns im Himmel sagt. Doch ich muss deine Emsigkeit und Aufmerksamkeit loben.«
In jener Nacht hatte Hauptmann Parang Wachdienst. Als Beizi Reith fragte, ob er bereit sei, Shosti beizuliegen, antwortete er: »Sei so freundlich und richte Ihrer Rechtschaffenheit aus, dass ich müde bin. Ich
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