Die Geisel von Zir
war, zu ihm gesagt hatte. Reith hatte bei ihm Spanisch geübt, und Pedro hatte gesagt: »En los paises extrangeros, es mas prudente de no discutir la politica o la religion.« Eine Diskussion über Politik oder Religion in diesem fremden Land vom Zaun zu brechen, konnte ihn schneller, als ihm lieb war, auf den Richtblock bringen.
»Wo was ist, o Herr?« bohrte Parang neugierig nach.
»Ich habe mich bloß gefragt, wo die Quartiere von euch Soldaten wohl sein mögen.«
»Ihr werdet sie gleich sehen. Ist Ihre Göttlichkeit mit dem Tempel fertig?«
»Ja, guter Mann. Führ mich hinaus.«
Verglichen mit dem Prunk des Tempels, war der Rest der Siedlung Senarze geradezu ein Elendsviertel. Reith folgte seinen Begleitern durch eine enge Gasse, vorbei an Reihen stinkender Hütten, zur Kaserne, dem nächst dem Tempel größten und stabilsten Gebäude in Senarze. Diese sah von innen aus wie jede andere Kaserne, ob in Krishna oder sonst wo auf der Welt: triste scheunenähnliche Gemeinschaftssäle für die unverheirateten Soldaten, separate Quartiere für die verheirateten, Einzelzimmer für die Offiziere und so weiter.
Reith benutzte jede Gelegenheit, Hauptmann Parang zu fragen, was dieses oder jenes auf Ziro hieße. »Da ich möglicherweise längere Zeit hier bleiben werde«, erklärte er, »möchte ich gern euren hiesigen Dialekt beherrschen.«
»Dialekt!« Tiefe Entrüstung schwang in der Stimme des Hauptmanns mit. »Göttlicher Gebieter, ich bitte Euch, unsere Sprache nicht so zu bezeichnen! Ziro ist eine eigenständige Sprache, welche sich sowohl vom Durou als auch vom Gozashtando vollkommen unterscheidet. Sie ist unser unschätzbares kulturelles Erbe, das unter allen Umständen in seiner logischen und ausdrucksvollen Reinheit bewahrt werden muss.«
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Reith. »Eure Sprache also.«
»Hier ist der Außenwall. Wünschen Eure Göttlichkeit eine Rundpromenade zu machen? Ein solcher Spaziergang längs dem Walle erfreut sich großer Beliebtheit bei den Senarzeva, besonders bei den jungen, welche sich noch nicht gepaart haben.«
»Gern, guter Hauptmann.«
Als sie die Treppe zum Wall hinaufstiegen, grübelte Reith über die Landkarte nach, die er im Tempel gesehen hatte. Wenn er sich aus dem Staub machen wollte, brauchte er eine eigene Karte. Aber wie die im Tempel kopieren, ohne Verdacht zu erregen?
»Hauptmann«, sagte er nach einer Weile, »wann ist der nächste Gottesdienst im Tempel?«
»Um die Mitte des Nachmittages, o Herr. Warum fragt Ihr?«
»Ich würde gern daran teilnehmen. Es verlangt mich nach Gebet und Einkehr.«
»Das ist höchst verständlich, Herr. Doch – verzeiht meine Unverschämtheit – zu wem sollte ein Gott wie Eure Durchlauchtigkeit beten?«
Die unerwartete, gleichwohl sehr logische Frage brachte Reith einen Moment lang in Verlegenheit. Doch er hatte sich schnell gefangen: »Nun, zu mir selbst natürlich! Was dachtest du?«
»Das hatte ich nicht bedacht«, sagte Parang mit verblüfftem Gesichtsausdruck. »Ich bin nur ein einfacher Soldat, nicht befähigt zu theologischem Disput. Nun, es sei, wie Ihr wünscht.«
Sie hatten jetzt das Ende des Walls erreicht, wo der Fußweg in einem der großen viereckigen Türme des Haupttors endete. Reith beugte sich durch eine der Schießscharten und studierte das umliegende Gelände. Die Zugbrücke zu seiner Linken war wieder heruntergelassen. Unter der Zugbrücke sah er den Graben, der quer durch den Sattel gehauen war, welcher den Felsen von Senarze mit dem nächstliegenden Berg verband.
Reith hatte zwar so gut wie keine praktischen Erfahrungen im Bergsteigen, aber er kannte ein paar der wichtigsten Prinzipien aus Büchern. Wenn man ein ausreichend langes Seil besaß, konnte man die Mitte des Seils um einen Vorsprung schlingen und sich mit beiden Händen zwischen den beiden Seilenden nach unten abseilen. Unten angekommen, ließ man ein Ende los und zog an dem anderen, bis das ganze Seil herunterkam.
Der Hang unterhalb des Grabens war steil, aber er schien nicht unbezwingbar. Reith sah mehrere Felsvorsprünge, die als Befestigungspunkt für das Seil durchaus geeignet schienen. Weiter unten, wo der Hang etwas abflachte, gab es sogar vereinzelte Sträucher und verkrüppelte Bäume.
Alles, was er brauchte, war ein Seil, eine Landkarte, etwas Proviant und eine dunkle Nacht, in der er unbewacht war. Sein eben noch leise aufkeimender Optimismus sank wieder in sich zusammen. Eines, vielleicht auch zwei dieser Dinge mochte
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