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Die Geisel von Zir

Titel: Die Geisel von Zir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyon Sprague de Camp
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stockdunkel, und er tastete sich vorsichtig auf allen vieren am Rand des Abhangs entlang, um nicht hinunterzustürzen. Nach kurzer Suche fand er einen Vorsprung dicht unterhalb des Mauerfußes. Er suchte die Mitte des Seiles, schlang sie um den Vorsprung und ließ sich vorsichtig, den Rücken zum Abgrund gewandt, Schritt für Schritt herunter.
    Der Himmel war dicht bewölkt. Das hatte den Vorteil, dass man ihn nicht sehen konnte, andererseits konnte aber auch er kaum die Gestalt des Abhangs erkennen. Unterhalb der Kante fiel die Felswand nahezu senkrecht. Wenn er abglitt, würde er im freien Fall in die Tiefe stürzen.
    Als er unten ankam, fühlte er fast ebenen Halt unter den Füßen. Er spähte um sich in die Dunkelheit und sah, dass er auf einem schmalen Felsensims stand. Unter ihm flachte der Hang etwas ab.
    Reith ließ ein Seilende los und begann das andere Ende einzuholen. Das freie Ende verschwand nach oben in die Dunkelheit. Plötzlich blieb das Seil hängen. Er zog mit einem leichten Ruck, aber es gab nicht nach. Er packte das Seil mit beiden Händen und zog so fest, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Er fing sich, aber im selben Moment hörte er von oben ein Poltern: Der Vorsprung, um den er das Seil geschlungen hatte, war durch den Ruck herausgebrochen! Das Geräusch kam näher und verwandelte sich in eine Serie dumpfer Schläge, als der Felsen mit zunehmender Geschwindigkeit aufzuspringen begann. Reith wusste, dass ein Riesenbrocken von mindestens einem halben Zentner genau auf ihn zugedonnert kam.
    Zum Ausweichen bot der Sims nicht genug Platz. Selbst wenn er Zeit gehabt hätte und den näher kommenden Felsen hätte sehen können, wäre bei einem seitlichen Ausweichen die Gefahr eines Treffers zu groß gewesen. Also presste er sich so eng wie möglich gegen die Wand.
    Der Felsbrocken schlug dicht über seinem Kopf gegen die Wand, prallte ab und verfehlte ihn nur um wenige Zentimeter. Er spürte den Luftzug im Nacken. Vor Erleichterung zitternd, lauschte er dem leiser werdenden Donnern, als der Brocken den Hang hinuntersprang. Mehrere kleinere Steine folgten. Einer schlug ihm heftig gegen die Schulter, aber er missachtete den Schmerz.
    Als seine Knie zu zittern aufhörten, spähte er hinunter in die Dunkelheit. Der Abhang war unterhalb des Simses so schräg, dass er ohne Seil zu bewältigen war. Er rollte das Seil zusammen und setzte, jetzt lediglich unter Zuhilfenahme der Hände, seinen Abstieg behutsam fort.
    Als er sich dem Fuß des Felsens näherte, wo der Hang sanft abflachte, so dass er bereits aufrecht und vorwärts gehen konnte, hörte er von oben einen tiefen Glockenton herunterhallen. Es war der große Gong über dem Haupttor. Weit oben, entlang des Walls, tanzten und flackerten Lichter wie ein aufgeregter Schwarm Glühwürmchen. Kettengerassel verriet, dass die Zugbrücke heruntergelassen wurde.
    So schnell, wie das Gelände und die Dunkelheit es zuließen, tastete Reith sich vorwärts über die Böschung am Fuße des Felsens von Senarze und in das Unterholz des angrenzenden Waldes. Er stolperte über Steine und umgestürzte Bäume, stieß gegen tiefhängende Äste und tappte in den kleinen Bach, der hinunter ins Tal plätscherte. Ohne anzuhalten und zu verschnaufen, wühlte und zwängte er sich vorwärts durch das Gestrüpp.
     
    Als die Sonne aufging, ließ Reith sich ermattet auf einen umgestürzten Baum sinken und zog seine Karte hervor. Sein buntes Flittergewand hing ihm in dreckigen Fetzen vom Leib; er war wund, zerkratzt, von Insekten zerstochen. Obwohl er nur im Schneckentempo vorangekommen war, musste er mindestens ein halbes Dutzend Kilometer gelaufen sein. Senarze war nicht mehr zu sehen.
    Er sah sich um. Wenn er einen irgendwo weiter östlich gelegenen Hügel erklomm und auf der anderen Seite herunterging, musste er an einen Bach kommen, der ihn zum Kehar-Berg führte. Wenn er den schneebedeckten Gipfel einmal im Blick hatte, konnte er, vorausgesetzt, dass seine Kräfte reichten, Gha’id und das Bahncamp erreichen.
    Doch die Müdigkeit und die Erschöpfung machten sich immer stärker bemerkbar. Er musste etwas essen und sich einen geschützten Platz zum Schlafen suchen. Die Füße schmerzten von der beschwerlichen Wanderung über Stock und Stein in den dünnen, halb aufgelösten Tempelschuhen.
    Er kaute einen altbackenen Keks und spülte ihn mit einem Schluck kalten Wassers aus dem Bach herunter, als ein Knacken im Unterholz ihn auffahren ließ. Ein Wildpfad zog sich den Hügel

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