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Die Geisel von Zir

Titel: Die Geisel von Zir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyon Sprague de Camp
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drückte er den Klöppel mit dem Daumen tief in die weiche Masse. Jetzt saß er fest und würde nicht mehr klingeln.
    Dann holte er sein Taschenmesser heraus und schnitt die Strippe direkt oberhalb der Glocke so weit durch, bis sie nur noch an ein paar wenigen Fasern hing und bei einem kräftigen Ruck durchreißen würde.
    Als er Jazeris Schritte auf der Treppe nahen hörte, steckte er das Messer rasch wieder ein. Während er genüsslich das wohltuende heiße Getränk schlürfte, lobte er mit schmeichlerischen Worten Jazeri und ihre Kolleginnen. Er pries die Sauberkeit des Tempels und den strahlenden Glanz der Statuen und Säulenornamente. Das Mädchen strahlte über das ganze Gesicht und schnurrte vor Stolz und Wonne.
    Als er die Tasse leergetrunken hatte, reichte er sie Jazeri und sagte ihr gute Nacht. Wieder in sein Gemach zurückgekehrt, stellte er zu seiner Zufriedenheit fest, dass Parang noch immer in tiefem Schlummer lag. Ein vorsichtiger Blick nach draußen zeigte ihm, dass Ghirch ebenfalls eingeschlafen war.
    Reith packte die Glockenschnur und zog mit einem kräftigen Ruck daran. Sofort schlängelte sich ein Meter Seil ohne Widerstand aus dem Loch in der Wand. Er wartete einen Moment, ob es zurückgezogen wurde. Da nichts dergleichen geschah, zog er weiter, bis das abgerissene Ende aus dem Loch schlüpfte und vor ihm zu Boden fiel.
    Er wickelte sich das Seil um die Hüfte und schob seinen goldenen Rock darüber. Dann warf er einen Blick auf Parang. Der Hauptmann schlief tief und fest. Sein Kapuzenumhang lag neben der Tür auf dem Fußboden.
    Reith überlegte, ob er den Gürtel des Hauptmanns lösen und sein Schwert nehmen sollte. Doch da er befürchtete, dass Parang davon aufwachen würde, entschied er, statt dessen lediglich die Scheide aus dem Gürtel zu haken. Ganz vorsichtig ging er zu Werke. Hauptmann Parang schnaufte weiter.
    In Ermangelung eines geeigneten Schwertgürtels steckte Reith sich die Scheide kurzerhand in die smaragdbesetzte Schärpe. Das war zwar unbequem und hinderlich, aber es musste einstweilen reichen.
    Alsdann zog er den Beutel mit Keksen, die er heimlich beiseite geschafft hatte, unter dem Bett hervor. Da er schon vor einiger Zeit damit begonnen hatte, mussten die ersten reichlich vertrocknet sein; aber das war jetzt unwichtig. Er nahm die Landkarte vom Tisch.
    Er schlüpfte in Parangs Umhang und zog sich die Kapuze so tief wie möglich ins Gesicht. Einen Moment war er versucht, eine Notiz zu hinterlassen, dass Hauptmann Parang keine Schuld an seiner Flucht trüge, weil er, Reith, ihn hereingelegt hätte. Er mochte den alten Krishnaner. Aber bei seinen mageren Kenntnissen der krishnanischen Schriftzeichen würde es eine Stunde dauern, bis er einen halbwegs leserlichen und verständlichen Brief zuwege gebracht hätte. Nun, vielleicht, sagte er sich, wie um sich zu beruhigen, passiert dem guten Parang ja auch nichts. Aber das Wohl und das seiner Touristen war jetzt erst mal wichtiger.
    Wenig später stieg Reith die Steintreppe zur Stadtmauer neben dem Haupttor hinauf. Ein Wachtposten sah ihn, salutierte beim Anblick des Offiziersumhangs und schritt weiter seine Runde. Die Posten vor dem Tempel hatten sich genauso verhalten.
    Mit schweißnassen Händen und klopfendem Herzen entrollte Reith die Glockenschnur von seiner Hüfte. Er warf sie über die Schartenbacke direkt neben dem Torturm, kroch durch die Scharte, wobei er sich so ungeschickt anstellte, dass sich seine Schwertscheide zwischen zwei Schartenbacken verkantete, und ließ sich, nachdem er die Scheide mit zitternden Fingern wieder freigezerrt hatte, langsam an der Außenfront des Walls herunter.
    Auf halbem Wege fiel ihm plötzlich ein schreckliches Versäumnis ein. Bei seinen Vorbereitungen für die Flucht hatte er an alles gedacht; nur eines hatte er in der Hast vergessen: nämlich die Schuhe zu wechseln. Er trug noch immer die hauchdünnen, slipperartigen vergoldeten Zierpantöffelchen, die einen Teil seines prunkvollen Tempelkostüms bildeten. Er hatte beabsichtigt, die derben Stiefel anzuziehen, in denen er gefangen genommen worden war und die er bei seinen Spaziergängen in der Stadt immer angehabt hatte. Die aber standen jetzt friedlich in seinem Kleiderschrank, und es war zu spät, noch einmal umzukehren und sie zu holen.

 
10
     
    Ein Paar Stiefel
     
    A m Fuß der Mauer angekommen, zog er das Seil herunter und machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Felsvorsprung für seinen weiteren Abstieg. Es war

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