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Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
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musste das Kinderheim Birkevang sein.
    Sie erreichte den Vorplatz und musterte das Gebäude. Der Verfall war weit fortgeschritten und das Dach an mehreren Stellen eingestürzt, so dass die verrotteten Dachsparren in den Himmel zeigten. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Auch die Haustür war verbarrikadiert und durch ein großes Vorhängeschloss gesichert. Sie fragte sich, ob Søren das Schloss angebracht hatte, und vermisste Katrines Gesellschaft. Die Aussicht, allein in dieses Haus einzubrechen, verschaffte ihr ein tiefes Unbehagen.
    Sie ging um das Gebäude herum und suchte nach dem Hintereingang. Er war genauso verbarrikadiert wie der Rest des Hauses. Die einzige Möglichkeit, sich Zugang zu verschaffen, war ein kleines Kellerfenster, das links von der Tür lag. Sie kämpfte sich durch das Gestrüpp und ging vor dem Fenster in die Knie. Mit der Taschenlampe leuchtete sie hinein. Graffiti waren an der Wand zu sehen. Auf dem Boden lagen Gerümpel und leere Flaschen. Vorsichtig zwängte sie sich durch die Öffnung und sprang hinein. Drinnen war es stockdunkel.
    Sie ließ den Lichtkegel durch den Raum wandern, konnte jedoch nur wenige Meter weit sehen. Der Kellerraum war länger, als sie gedacht hatte. Es stank nach Schimmel und war ziemlich kühl. Sie stützte sich an einer Wand ab und ging mit tastenden Schritten weiter. Plötzlich sah sie im Lichtschein einen Treppenabsatz. Sie leuchtete die Treppe hinauf und sah, dass ein paar Stufen eingestürzt waren. Die Tür am oberen Ende war angelehnt. Vorsichtig stieg sie die Stufen hinauf, die bedrohlich knackten und knarrten. Wenn sie sich hier drinnen verletzte oder stecken blieb, gab es niemanden, der sie hier rausholte. Sie warf einen Blick auf das Display ihres Handys und sah, dass sie keinen Empfang hatte. Vielleicht hätte sie doch Katrine oder Claus Bescheid sagen sollen.
    Maja betrat den langen, schmalen Eingangsbereich. Am anderen Ende drang das Licht keilförmig durch die Ritzen der Bretter, mit denen die Haustür vernagelt war. Sie leuchtete den Gang hinunter. An einer der Wände hingen immer noch die Metallhaken, die für die Jacken der Kinder bestimmt gewesen waren und nun das Licht reflektierten. Sie erreichte eine Seitentür und blickte hinein. Der Raum war leer. Maja ging zum nächsten Zimmer. Ein langer Tisch und Bänke lagen auf dem Boden. Vermutlich war dies der Speisesaal gewesen. Fast sah sie die Kinder vor sich, wie sie in langen Reihen saßen und ihre Mahlzeiten aßen. Auf der anderen Seite des Gangs lag die Küche. Ein umgekippter Schrank hinter der Tür versperrte den Zugang. Maja ließ den Lichtkegel über die weiß gekachelten Wände wandern. Alles war voller Spinnweben. Hier schien seit Jahren niemand gewesen zu sein.
    Eine Treppe führte zu den anderen Stockwerken. Der verschlissene Veloursteppich dämpfte das Geräusch ihrer Schritte, als sie die Stufen hinaufging. Auf dem Absatz der ersten Etage blieb sie stehen und betrachtete die Reihe der verblichenen Fotos, die gerahmt an der Wand hingen. Das erste war eine idyllische Aufnahme des Kinderheims. Sie war im Frühling entstanden und zeigte frisch erblühte Bäume. Danach folgten einige Klassenfotos. Die Schüler saßen auf den Stufen der Eingangtreppe. Niemand lächelte. Maja suchte nach Søren, doch den Kleidern und Frisuren der Kinder nach zu urteilen waren die Bilder in den sechziger Jahren entstanden. Lange bevor Søren hierhergekommen war. Das letzte Bild in der Reihe war das Porträt eines älteren, drahtigen Mannes mit markanten Gesichtszügen. Die scharf geschnittene Nase und die buschigen Augenbrauen erinnerten an eine Eule. Am unteren Ende war mit Kugelschreiber notiert: Leiter J.P. Nielsen, 1969. Auch wenn Søren erst einige Jahre später hier untergebracht worden war, konnte er ihm durchaus begegnet sein. Sie fragte sich, ob Nielsen noch lebte. Dem Bild zufolge müsste er mittlerweile zwischen achtzig und neunzig sein.
    Sie ging den schmalen Flur entlang. Zur Rechten sah sie die Toiletten und zwei kleinere Zimmer, beide leer. Auf der anderen Seite führte eine Tür zu einem großen, langen Saal. An der einen Wand standen vier rostige Eisenbetten. Sie hatte zweifellos den ehemaligen Schlafsaal betreten. Der Saal hatte etwas unglaublich Trauriges, nur durch ein einziges Giebelfenster sickerte ein wenig Tageslicht. Die graue Tapete an den Wänden hing in Streifen herunter. Von der Decke baumelte eine nackte Glühbirne. Sicherlich war es damals, als der Schlafsaal benutzt

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