Die Geisel
Schlucke darin, und sie verfluchte sich, davon getrunken zu haben.
Sie bettete seinen Kopf vorsichtig in ihrem Arm und hielt ihm die Flasche an die Lippen. Er trank begierig.
»Jetzt wird alles gut«, flüsterte sie. »Alles wird gut.«
Nachdem er das Wasser getrunken hatte, zog sie das Handy aus ihrer Handtasche. Sie versuchte, die 112 zu erreichen, aber es gab keinen Netzempfang.
»Wir müssen gehen, Timmie. Kannst du aufstehen?«
Doch er war zu erschöpft für eine Antwort und dämmerte wieder vor sich hin. Sie erwog, kurz nach oben zu gehen und zu prüfen, ob sie dort Empfang hatte, wagte aber nicht, ihn allein zu lassen. Es war besser, ihn unverzüglich zum Auto zu tragen, wo sie noch eine Flasche Wasser hatte, und ihn selbst zur Notaufnahme zu fahren.
Sie hängte sich die Öllampe an den Unterarm und trug Timmie durch den Salon. Es brannte schrecklich, wenn das schwankende heiße Glas der Lampe ihren Arm berührte, aber davon ließ sie sich nicht aufhalten. Sie trug ihn die Treppe hinauf zum Ruderhaus und ging nach draußen. Behutsam legte sie ihn auf das rostige Achterdeck und stellte die Lampe neben ihn.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie kurzatmig.
Er antwortete nicht.
Sie beugte sich über ihn und spürte zu ihrer Erleichterung seinen schwachen Atem. Es würde sehr beschwerlich werden, ihn durch den Wald bis zu ihrem Auto zu tragen, doch ihr blieb keine Wahl.
Maja erhob sich. Sie hörte ein zischendes Geräusch, ehe sie den Schlag spürte. Das morsche Brett zersplitterte an ihrem Hinterkopf. Holzsplitter flogen durch die Luft. Die Kraft des Schlages riss ihr die Beine weg. Ihre Arme ruderten durch die Luft, ehe sie mit dem Kinn auf das Stahldeck krachte. Irgendwas in ihrem Kopf schien zu explodieren. Es dröhnte in ihren Ohren, ihr eigener Atem hörte sich hohl und fern an. Das Licht der Öllampe blendete ihr linkes Auge. Das rechte war von dem Schlag vollständig betäubt. Sie schmeckte Blut. Spürte mit der Zunge die angebrochenen Zähne. Ein Fuß trat neben die Lampe.
»Bleib liegen, Maja«, hörte sie von oben.
Sie erkannte die Stimme. Wusste, wem sie gehörte. Aber das passte einfach nicht zu der Tatsache, dass er soeben versucht hatte, ihr den Schädel einzuschlagen. Langsam drehte sie sich um. Der Mann türmte sich über ihr auf. Sein blütenweißes Hemd leuchtete im Dunkeln. Seine Hand umfasste einen Holzbalken, als wolle er jeden Moment zum entscheidenden Schlag ausholen. Sie sah seinen kühlen Blick.
Das kann nicht sein, dachte sie immer wieder, ehe sie seinen Namen stammelte: »Skou…boe.«
Skouboe atmete schwer. »Ich weiß nicht, ob ich mehr enttäuscht oder beeindruckt sein soll. Einerseits ist es unglaublich, dass du Timmie gefunden hast. Gott weiß, was wir nicht alles unternommen haben, um ihn aufzuspüren. Andererseits frage ich mich, warum du dich nicht einfach darauf konzentrieren konntest, selbst wieder auf die Beine zu kommen, Maja.« Er schaute sie betrübt an.
Das kann nicht sein, das kann nicht sein, hallte es immer wieder durch ihren Kopf. Sie kannte Skouboe. Er hatte sich um sie gekümmert. Hatte ihr durch die Ausbildung geholfen. Hatte sie an seinem Lebenswerk beteiligen wollen. Er war ihr Förderer. Skouboe hatte Alice. Seine erwachsenen Töchter. Seine Enkel. Ein schönes Leben. Einen guten Ruf. Das konnte nicht wahr sein. Das war nicht er, der dort stand. Er, den Søren am meisten gefürchtet hatte. Hook.
»Du hättest mein Angebot annehmen sollen. Du und Stig, ihr hättet es hier wunderschön haben können. Ich bin mir sicher, dass ihr auch noch ein oder zwei Kinder bekommen hättet, zumindest Adoptivkinder. Die Welt ist voller Kinder.« Er lächelte lakonisch und trat einen Schritt näher heran. »Aber du scheinst eine Art genetischen Defekt zu haben, Maja.« Er zeigte mit dem Balken auf sie. »Du kannst einfach nicht loslassen. Du hättest zufrieden sein können, als du Søren aufgespürt hast. Dann wären alle glücklich gewesen. Dann hätten die Dinge ihren normalen Verlauf genommen. Aber nein, die hoffnungslosen Fälle ziehen dich an. Es gehört nicht zu den Aufgaben eines Arztes, die Toten zum Leben zu erwecken. Das sollten wir Gott überlassen. Wir haben mit den Lebenden schon genug zu tun.«
Er hob den Balken. »Skouboe!«, rief Maja. Er hielt inne.
»Das … Das kannst du nicht tun.« Ihre Stimme bebte. »Das geht nicht … Ich kenne dich, verdammt noch mal!«
Skouboe senkte den Balken und schaute sie gekränkt an. »Aber, Maja, ich bin es doch
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