Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geisel

Titel: Die Geisel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Katz Krefeld
Vom Netzwerk:
dass Stig und seine Mutter das Grab besucht hatten, was ihr schlechtes Gewissen nur noch verstärkte.
    Maja ging zu der Übersichtskarte, die auf einem grünen Ständer unmittelbar hinter dem Kircheneingang befestigt war, und entdeckte dort rasch die Grabstelle, die am anderen Ende des Friedhofs, weit von Walthers Grab entfernt, lag. Sie nahm sich vor, ihn so bald wie möglich zu besuchen, war sich aber nicht sicher, ob sie sich an dieses Versprechen würde halten können. Sie ging den frisch geharkten Kiesweg entlang. Die Sonne strahlte über den Friedhof und ließ die Reihen der Grabsteine kalt aufleuchten. Sie warf einen Blick über die Schulter, wollte sich vergewissern, dass ihr niemand folgte, hörte aber nur das Geräusch ihrer Schritte und das Rauschen der Weiden. Nach einer Weile bog sie nach links ab und folgte einem Weg, der zur Sektion R führte. Die Gräber waren alle deutlich markiert, und so fand sie schnell das Grab, das Søren ausgewählt hatte.
    Vor ihr stand ein kleiner, herzförmiger Granitstein. Er trug Lasses Namen. Sørens erstes Opfer. »Schlaf gut« stand unten auf dem Stein. Auf der trockenen, rissigen Erde lagen ein paar verwelkte Blumenkränze und drei kleine, von der Sonne ausgebleichte Teddybären. Das Grab hatte etwas unendlich Trauriges. Als wäre es bereits vergessen worden. Doch erleichterte es Maja, dass die trockene Erde vollkommen unberührt aussah. Somit konnte sie ausschließen, dass Søren Timmie neben Lasse begraben hatte. Sie bückte sich und untersuchte den Boden um den Grabstein, um sicherzugehen, dass ihr Søren nicht vielleicht eine Nachricht hinterlassen hatte. Als sie nichts entdeckte, ließ sie ihre Hand unter die niedrige Dornenhecke gleiten, die das Grab einfasste. Sie spürte einen harten Gegenstand an ihren Fingerspitzen. Vorsichtig zog sie ihn unter der Hecke hervor. Es war eine kleine Gipsfigur von Pan, der tanzend auf seiner Flöte spielte. An einem Bein war ein kleiner Beutel mit einem Brief darin befestigt. Maja riss den Beutel auf und faltete den Brief auseinander. Er war mit ungelenker Handschrift geschrieben.
     
    Herzlichen Glückwunsch, Wendy!
    Es bedurfte eines Kinderspiels, um ein Kind zu finden. Lustig, nicht wahr?
    Wenn du dies liest, bedeutet das, dass unsere Begegnung auf dem Bahnhof nicht so glücklich verlaufen ist. Vielleicht sind die Rothäute gekommen. Vielleicht Hook mit seinen Männern. Vielleicht bin ich schon auf dem Weg nach Nimmerland.
    Aber es bedeutet auch, dass du das Buch gefunden hast. Dass du erraten hast, welche Zeichnung von Timmie ist. Dass du den Code geknackt hast. Damit machst du mich stolz. Das ist der Beweis, dass du Wendy bist.
    Wie du siehst, hat Timmie mir beigebracht, wie man verschlüsselte Nachrichten schreibt. Es ist so ein begabter Junge. Doch leider auch einer der Verlorenen. Deshalb musst du auf ihn aufpassen. Du musst dafür sorgen, dass Hook ihm nichts mehr anhaben kann. Ihn nicht mehr quält. Ich hoffe, du hast dir über die Schulter geschaut. Sonst tue es jetzt …
    Timmie ist der einsame Kapitän auf Hooks verlassenem Schiff, der Jolly Roger. Es ist der letzte Ort, an dem Hook selbst suchen würde. Der einzige Ort, den er nicht aufzusuchen wagt. Zu viele Gespenster. Mehr als hier auf dem Friedhof. Zu viele Seelen der verlorenen Jungen, die ihn jagen.
    Ich selbst habe es kaum gewagt, zu meiner alten Heimat zurückzukehren und Timmie dort zu verstecken. Ausgerechnet dort, wo Hook und seine Männer in all diesen Nächten ihr Unwesen trieben. So viele Jahre lang. Ticktack. Soll das Krokodil ihn finden, so wie du Timmie findest.
    Gute Reise.
Pan
     
    Sie faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Tasche. Timmie war jedenfalls noch am Leben gewesen, als Søren diesen Brief geschrieben hatte. Wenn Søren für den Fall seiner Festnahme all diese Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte, hieß das auch, dass er Timmies Gefangenschaft sorgfältig geplant hatte. Dass er dafür gesorgt hatte, dass der Junge für eine gewisse Zeit allein überleben konnte. Fragte sich nur, wie lange.
    Sie erhob sich und ging zu ihrem Wagen zurück. Er hatte Timmie also an einem Ort versteckt, den er als seine alte Heimat bezeichnete. Katrine hatte erzählt, dass er in Lemvig aufgewachsen war. Es schien ihr sehr unwahrscheinlich, dass er den weiten Weg bis nach Lemvig auf sich genommen hatte, um Timmie dort zu verstecken. Er musste einen anderen Ort meinen.
    Als sie ihr Auto erreichte, öffnete sie die Tür und nahm das Dossier über

Weitere Kostenlose Bücher