Die Geisel
Clogs des diensthabenden Arztes getroffen. Als sie an Timmies Behandlungszimmer vorbeigerollt wurde, hatte sie einen kurzen Blick auf ihn erhaschen können. Zart und zerbrechlich hatte er ausgesehen mit all den Elektroden und Kanülen und den vielen weißen Kitteln um sich herum. Aber er war jetzt in Sicherheit. Sie hatte ihn in Sicherheit gebracht. Maja lächelte versonnen, ehe ihr die Augen zufielen.
Am Tag darauf kam es zur großen Explosion. Das Krankenhaus wurde von Presseleuten belagert, die Kontakt zu ihr und Timmie aufnehmen wollten. Aber die Polizei hielt sie ihnen vom Leib.
Von ihrem Krankenbett aus beantwortete Maja Tom Schæfer und Bent Faurholt einige Fragen. Faurholt war sehr nervös und verschwand zwischendurch dreimal auf die Toilette, während Tom die Liebenswürdigkeit in Person war. Vielleicht weil er wusste, dass Timmies Überleben seiner Karriere nur förderlich sein würde. Der Diebstahl der Ermittlungsunterlagen entlockte ihm nur einen diplomatischen Kommentar. Die Akten seien bei ihr zu Hause »sichergestellt« worden, sagte er. Von einer Anzeige gegen sie war nicht die Rede. Sie hatten sogar ihr Auto abgeholt, das noch am Waldweg gestanden hatte.
Während der Vernehmung erzählte sie ihnen alles, was im Wald geschehen war. Was Skouboe über das Kinderheim gesagt hatte. Leider konnte sie die Männer nicht beschreiben, mit denen er gekommen war.
Tom erzählte, Skouboes verkohlte Leiche sei neben dem ausgebrannten Boot gefunden worden. Für die Gerichtsmediziner sei nicht mehr viel übrig geblieben. Zeugen hatten mehrere Autos beobachtet, die sich in hoher Geschwindigkeit vom Tatort entfernt hatten, doch die Personenbeschreibungen waren ziemlich dürftig. Hingegen hatten die Techniker verschiedenste Spuren auf dem Weg gefunden, die derzeit ausgewertet würden.
Am nächsten Tag konnte sie in der Zeitung lesen, dass man in Skouboes Haus kinderpornographisches Material gefunden hatte. Ein paar alte, in einer Geldkassette verwahrte Schmalfilme. Außerdem hatte die Polizei mehrere Computer und Festplatten beschlagnahmt, auf denen verschlüsselte Dateien gespeichert waren. Dennoch war es bisher nicht gelungen, den Verschlüsselungscode zu dechiffrieren. Von weiteren Festnahmen war leider nichts zu lesen.
Maja konnte immer noch nicht fassen, dass Skouboe dieses Doppelleben geführt hatte. Immer und immer wieder fragte sie sich, ob er sich je auffällig verhalten hatte. Ob es je das geringste Anzeichen einer pädophilen Neigung gegeben hatte. In seiner Praxis oder im Privatleben mit Alice. Aber ihr wollte keine einzige verdächtige Situation einfallen. Er hatte durch und durch normal gewirkt. Allen gegenüber stets zuvorkommend, immer hilfsbereit. Sie war glücklich darüber, seinem kriminellen Treiben ein Ende bereitet zu haben. Dennoch empfand sie Mitleid für Alice und seine Töchter.
Am Nachmittag kam Claus bei ihr vorbei. Er brachte ihr Blumen mit. Cremeweiße Rosen. Sie sprachen über dieses und jenes, kaum über die Sache. Er hielt ihre Hand, und sie fühlte sich geborgen. Er lud sie zu einem Glas Wein ein, sobald es ihr wieder besser ginge. Doch sie lehnte ab, weil sie wusste, dass er eine Frau und drei Kinder hatte.
Am nächsten Tag, als sie entlassen wurde, stattete sie der Kinderstation einen Besuch ab. Im Krankenhausladen hatte sie einen Teddy gekauft. Timmie lag im Bett, eingerahmt von Luftballons und Blumen. Seine Familie hatte sich um ihn versammelt. Maja erkannte den Vater an seinem verwaschenen T-Shirt und der schwarzen Trainingshose. Timmie wirkte apathisch, lag nur regungslos da und starrte an die Decke. Seine Mutter saß auf der Bettkante und strich ihm behutsam über die Haare. Maja wollte sie nicht stören. Auf dem Gang drückte sie den Teddy einer Krankenschwester in die Hand und bat sie, ihn Timmie bei Gelegenheit zu geben.
Maja nahm den Hinterausgang und freute sich über die dreihundert PS ihres Mercedes, als sie vor der Journalistenmeute flüchtete.
Es hatte eine Woche lang geregnet.
Am Anfang hatte der Wetterumschwung ebenso viel Euphorie ausgelöst wie die Nachricht von Timmies Rettung. Doch inzwischen hatten sich die meisten Leute an beides gewöhnt und beklagten das Ende des Sommers.
Maja stand in der Küche und verstaute die Teller in einem Umzugskarton. Die achtzehn Stiche in ihrem Hinterkopf juckten grässlich. Ihre Gehirnerschütterung machte sich hin und wieder in Form von Migräneanfällen bemerkbar, und sie nahm weiterhin einige Pillen, um
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