Die Geister, die mich riefen: Deutschlands bekanntester Spukforscher erzählt (German Edition)
Fächer hörten Bender; Interessierte aus ganz Deutschland reisten nach Freiburg, um Hans Bender zu sehen, wie er, nur von einem kleinen Licht beleuchtet, Spukfälle vorführte. Doch er las nicht allein wegen des optischen Effekts im Dunklen. Er zeigte 16-Millimeter-Filme, die er nach Spukfällen vor Ort gedreht hatte. Die Aufnahmen zeigten Rekonstruktionen von Spukfällen. Betroffene stellten vor Benders Kamera nach, was sie erlebt hatten. Sie führten vor, wie Haushaltsgegenstände – ein Topf, ein Bügeleisen – durch die Luft schwebten. Sie deuteten auf Kratzspuren, auf zerborstene Fensterscheiben oder auf seltsame Schriftzeichen an der Wand.
Hans Benders Vorlesung war dadurch natürlich unterhaltsam. Es lag etwas Unheimliches darin. Er führte die Zuhörer in Grenzbereiche ihres Wissens. Bender war jedoch kein Schauspieler. Aber er wusste die Faszination seines Faches zu nutzen, um es mehr Menschen zugänglich zu machen.
Bald ging ich an Benders Institut ein und aus. Ich benutzte ausgiebig die umfangreiche Bibliothek, besuchte die Seminare und Vorträge am Institut. Nach meinem Physik-Diplom verbrachte ich viele Stunden mit Diskussionen in der Eichhalde. In diesen Gesprächen betonte Hans Bender immer wieder, dass er froh darüber war, einen Physiker unter seinen Mitarbeitern zu haben. Seminare leitete er häufig mit den Worten ein: »Wir wenden uns Hilfe suchend an die Physiker.« Dann wandte er sich an mich und fragte: »Herr von Lucadou, können Sie mir nicht mal schnell die Quantenmechanik erklären?« Es war scherzhaft gemeint – niemand kann mal schnell die Quantenmechanik erklären. Aber die Frage gab den Ort vor, an dem man vermutlich suchen musste, um Hinweise auf die Ursachen von Spuk zu finden.
Nach einigen Semestern durfte ich Hans Bender auch bei seinen Reisen zu Spukfällen begleiten. Meist ging eine Korrespondenz zwischen den Betroffenen und Bender voraus. Wenn Bender dachte, der Fall könnte interessant sein, vereinbarte er eine Ortsbesichtigung. Er hat unzählige Spukfälle besucht. Er war besessen von der Idee, irgendwann einmal vor Ort selbst einen Spukfall auf Film aufzunehmen. Bis dahin gab es weltweit nur wenige, oft zweifelhafte Aufnahmen von Spukphänomenen. Bender suchte den sichtbaren Beweis – aus wissenschaftlichem Interesse, vielleicht aber auch aus Stolz. Es ist wesentlich leichter, den Menschen die Parapsychologie zu erklären, wenn man Beispiele zeigen kann. Es ist leichter, die Existenzberechtigung einer Wissenschaft zu belegen, deren Untersuchungsobjekt sichtbar ist.
Bender fuhr einen alten Mercedes Diesel 190. Wenn ich ihn chauffieren durfte, hatte er während der Fahrten viel Muße für Gespräche über die Parapsychologie. Wenn dagegen er fuhr, gestaltete sich die Fahrt aufregender. Hans Bender fuhr unkonzentriert. Es konnte vorkommen, dass er, ganz im Gespräch versunken, auf der Autobahn nur noch 60 km/h fuhr. Und erst wenn ich ihn auf seine Geschwindigkeit hinwies, gab er wieder Gas.
Im Umgang mit den Betroffenen hatte Bender eine sehr sensible Art; er konnte mit den Leuten reden, konnte ihnen zuhören. Er hatte einen Blick für die psychosoziale Situation der Menschen. Er erforschte nicht nur die physikalische Seite des Spuks, er war ein guter Psychologe mit viel Intuition. Normalerweise brachte er zu einer Ortsbegehung ein Tonbandgerät mit und zeichnete die Gespräche mit den Betroffenen auf.
Bender nahm auch Fotos von den Orten auf, an denen es gespukt hatte, und immer wieder filmte er. Er ließ die vom Spuk Betroffenen nicht nur erzählen. Er forderte sie auf, die Ereignisse nachzustellen. Wenn jemand sagte: »Dann flog plötzlich der Teller vom Tisch«, ließ Bender die Person den Teller nehmen und bat darum, ihm genau zu zeigen, wie er heruntergefallen war. Hans Bender arbeitete im Grunde wie Richter und Anwälte vor Gericht: Er wollte Fakten, wollte ein klares Bild davon bekommen, wie die Leute die unheimliche Situation erlebt hatten.
Die meisten Menschen stellen sich die Recherche zu Spukfällen spektakulär vor. Die Wahrheit ist: Man kommt an einen Ort, findet Personen, die erzählen, was geschehen ist, ohne es zu begreifen. Das ist eine ernüchternde und eher frustrierende Situation, weil man trotz Ortsbesichtigung nur mit den Berichten der Leute arbeiten kann. Wenn ich mit Bender gemeinsam den Ort des Spuks aufsuchte, hatte dieser im Normalfall schon aufgehört. Nur in wenigen Ausnahmefällen erlebt ein ortsfremder Beobachter einen Spuk,
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