Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
Lachen, ich kann einen Angreifer in der Métro mühelos k.o. schlagen und ihn anschließend mit einem Augenaufschlag wiederbeleben! Shirley hatte den schwarzen Gürtel in Jiu-Jitsu.
Sie stammte aus Schottland und erzählte, dass sie ursprünglich nach Frankreich gekommen war, um hier eine Hotelfachschule zu besuchen, dann aber nie wieder zurückgekehrt sei. Der französische Charme! Ihren Lebensunterhalt verdiente sie mit Gesangsstunden an der Musikschule von Courbevoie, privatem Englischunterricht für erfolgshungrige Führungskräfte und herrlichen Torten, die sie zu fünfzehn Euro das Stück an ein Restaurant in Neuilly verkaufte, das jede Woche
zehn Stück davon bestellte. Manchmal auch mehr. Bei ihr roch es immer nach anschwitzendem Gemüse, aufgehendem Gebäck, schmelzender Schokolade, karamellisierendem Zucker, dünstenden Zwiebeln und goldbraun bratender Poularde. Sie erzog ihren Sohn Gary allein und verlor nie ein Wort über den Vater des Jungen. Wenn sie auf dieses Thema angesprochen wurde, reagierte sie mit einigen unverständlichen Knurrlauten, die auf ihre schlechte Meinung über Männer im Allgemeinen und diesen einen im Besonderen schließen ließen.
»Weißt du, womit dein Sohn gerade spielt, Shirley?«
»Nein …«
»Mit zwei Tampons!«
»Aha … Er nimmt sie doch hoffentlich nicht in den Mund, oder?«
»Nein.«
»Wunderbar! Dann trifft ihn wenigstens nicht vor Schreck der Schlag, wenn ihm ein Mädchen zum ersten Mal so ein Ding unter die Nase hält.«
»Shirley!«
»Was schockiert dich denn so daran, Joséphine? Er ist fünfzehn Jahre alt und kein kleines Kind mehr!«
»Für deinen Sohn wird es keine Romantik mehr geben, wenn du ihm jetzt schon alles sagst, alles zeigst und alles erklärst.«
»Scheiß auf die Romantik! Das ist doch bloß eine Erfindung, mit der wir für dumm verkauft werden sollen. Kennst du etwa romantische Beziehungen? Alles, was ich kenne, ist Betrug und gegenseitiges Zerfleischen.«
»Shirley, du bist herzlos.«
»Und du bist gemeingefährlich mit deinen ganzen Illusionen, Joséphine … Jetzt sag, wie ist der Stand der Dinge?«
»Seit heute Morgen habe ich das Gefühl, mein Leben rast mit Tempo hundert vorbei. Antoine ist ausgezogen. Besser gesagt, ich habe ihn rausgeschmissen … Ich habe es schon meiner Schwester gesagt, und ich habe es den Mädchen gesagt! Mein Gott, Shirley! Ich glaube, ich habe eine Riesendummheit gemacht.«
Sie rieb sich die Arme, als wollte sie sich trotz der Hitze an diesem Maitag wärmen. Shirley schob ihr einen Stuhl hin und befahl ihr, sich zu setzen.
»Du bist nicht die erste Frau des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die verlassen wurde! Es gibt eine ganze Menge von uns! Und ich will dir ein Geheimnis verraten: Das Leben geht weiter, sogar sehr gut. Der Anfang ist schwer, das stimmt, aber nach einer Weile möchte man es gar nicht mehr anders haben. Sobald der Kerl uns geschwängert hat, setzen wir ihn vor die Tür, genau wie die Weibchen im Tierreich. Du glaubst gar nicht, was für ein Genuss das ist! Manchmal koche ich sogar ein kleines Candle-Light-Dinner, nur für mich und mich …«
»So weit bin ich noch nicht …«
»Das sehe ich. Los, erzähl … Es wurde ja auch höchste Zeit! Gary, du musst gleich wieder zur Schule, hast du dir die Zähne geputzt? Alle haben es gewusst, nur du nicht. So was von schamlos.«
»Das hat Hortense auch gesagt … Kannst du dir das vorstellen? Meine vierzehnjährige Tochter wusste Bescheid und ich nicht! Die Leute müssen mich für eine komplette Idiotin gehalten haben. Aber soll ich dir was sagen, das ist mir mittlerweile völlig egal. Ich frage mich sogar, ob es mir nicht lieber gewesen wäre, nie davon zu erfahren …«
»Bist du mir böse, weil ich es dir erzählt habe?«
Joséphine betrachtete das offene, sanfte Gesicht ihrer Freundin, die winzigen Sommersprossen auf ihrer kleinen Stupsnase, die honigfarbenen, mit grünen Tupfen durchsetzten, maskengleich lang gezogenen Augen, und schüttelte langsam den Kopf.
»Ich könnte dir nie böse sein. Du tust niemals etwas mit böser Absicht. Du musst der netteste Mensch auf der ganzen Welt sein. Und dieses Mädchen, diese Mylène, die kann auch nichts dafür! Und wenn Antoine nicht seine Stelle verloren hätte, hätte er sie nicht einmal angesehen. Nur wegen … seiner Arbeit … dass man ihn mit vierzig Jahren einfach so ausgemustert hat … das ist doch unmenschlich, so etwas!«
»Hör auf, Jo. Du fängst an, ihn in Schutz zu
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