Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
in Panik versetzt, etwas, was dich schwanken lässt und deinen Rücken krumm macht. Ich beobachte dich seit sieben Jahren, seit wir nebeneinander wohnen und du zu mir rüberkommst, um einen Kaffee zu trinken und zu plaudern, wenn er nicht da ist …
»Komm schon«, flüsterte Shirley, »lass alles raus.«
»Ich finde mich hässlich, so furchtbar hässlich. Ich sage mir, dass sich bestimmt nie wieder ein Mann in mich verlieben wird. Ich bin fett, ich kann mich nicht anziehen, ich kann mich nicht richtig frisieren … Und ich werde immer älter.«
»Das geht allen so.«
»Nein, bei mir geht es doppelt so schnell. Weil ich mir keine Mühe mehr gebe, weil ich mich gehen lasse. Das weiß ich doch selbst …«
»Wer hat dir denn diese deprimierenden Flausen in den Kopf gesetzt? War das Antoine? Bevor er gegangen ist?«
Schniefend schüttelte Joséphine den Kopf.
»Dabei muss mir niemand helfen. Es genügt, wenn ich in den Spiegel schaue.«
»Und was noch? Was macht dir am allermeisten Angst auf der Welt? Was erscheint dir wie ein vollkommen unüberwindliches Hindernis?«
Joséphine sah Shirley ratlos an.
»Du weißt es nicht?«
Joséphine schüttelte den Kopf. Shirley sah ihr lange in die Augen, bis sie schließlich seufzte.
»Wenn du diese Angst erst einmal erkannt hast, diese eine Angst, die am Ursprung aller anderen Ängste steht, dann wirst du keine Angst mehr haben und endlich du selbst sein können.«
»Shirley, du redest wie eine Wahrsagerin …«
»Oder eine Hexe. Im Mittelalter hätte man mich verbrannt!«
Und tatsächlich bildeten sie einen seltsamen Anblick, diese beiden Frauen in der Küche, inmitten dampfender Kochtöpfe und klappernder Deckel, die eine mit umgebundener Schürze, durchgedrücktem Rücken und einer Kaffeemühle zwischen die Beine geklemmt, die andere mit müden, geröteten Zügen, auf ihrem Stuhl kauernd und immer weiter in sich zusammensackend, je länger sie redete … Ehe
sie schließlich verstummte, den Kopf auf den Tisch sinken ließ und weinte, haltlos weinte, während die andere ihr traurig zuschaute und nach einer Weile eine Hand ausstreckte und ihren Kopf streichelte, als wollte sie ein Baby beruhigen.
»Was machst du heute Abend?«, fragte Bérengère Clavert Iris Dupin, während sie ein Stück Brot von ihrem Teller wegschob. »Wenn du nichts vorhast, könnten wir zusammen zu Marcs Vernissage gehen.«
»Meine Familie kommt zum Essen. Marcs Vernissage ist heute? Ich dachte, das wäre erst nächste Woche …«
Sie hatten sich wie jede Woche in diesem angesagten Restaurant verabredet. Nicht nur, um zu plaudern, sondern um nebenher auch das aktuelle Geschehen zu verfolgen, das sich vor ihren Augen anbahnte und wieder auflöste. Politiker, die einander Informationen zuflüsterten, ein Starlet, das sein langes Haar schüttelte, um einen Regisseur zu beeindrucken, ein, zwei, drei dürre Models, deren Hüftknochen gegen die Tischkante stießen, ein alter Stammgast, der allein an seinem Tisch saß und wie ein Krokodil im Wasserloch auf Klatsch lauerte, den es aufzuschnappen lohnte.
Bérengère hatte wieder nach dem Brot gegriffen und höhlte es ungeduldig mit dem Zeigefinger aus.
»Die warten doch alle nur darauf, dass ich mir eine Blöße gebe. Mit jedem Blick werden sie mein Verhalten sezieren, um herauszufinden, wie es mir geht. Sagen werden sie nichts, ich kenne sie. Viel zu gut erzogen! Aber an ihren Augen werde ich es ablesen können: Wie geht’s denn der kleinen Clavert, nachdem sie abserviert wurde? Sie wird sich doch nicht die Pulsadern aufschneiden? Marc wird mit seiner neuen Freundin herumstolzieren … Und mir wird übel sein. Vor Scham, vor Zorn, vor Liebe und vor Eifersucht.«
»Ich wusste gar nicht, dass du zu so vielen Gefühlen überhaupt fähig bist.«
Bérengère zuckte mit den Schultern. Was auch immer sie behaupten mochte, die Trennung von Marc hatte sie tief getroffen. Sie legte keinen gesteigerten Wert darauf, sich auch noch einer schmachvollen öffentlichen Bloßstellung auszusetzen.
»Ich kenne sie, weißt du. Sie werden mich belauern! Und ich werde mich lächerlich machen …«
»Du brauchst doch nur so zu tun, als wäre es dir egal, dann lassen sie dich schon in Ruhe. Du kannst so herrlich böse gucken, Schatz. Das wird dir bestimmt nicht schwerfallen.«
»Wie kannst du so etwas sagen?«
»Weil du mich nicht dazu bringen wirst, gekränkte Eitelkeit mit Liebe zu verwechseln. Du bist gekränkt, aber nicht
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