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Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)

Titel: Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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sie wieder einpflanzen … Iris müsste Wurzeln fassen. An die Wurzeln denkt man nicht, wenn man jung ist. Erst wenn wir die Vierzig erreichen, rufen sie sich uns wieder in Erinnerung. Wenn man nicht mehr auf den Schwung und das Feuer der Jugend vertrauen kann, wenn die Energie allmählich schwindet, die Schönheit unmerklich verblüht, wenn man Bilanz zieht über das, was man in seinem Leben getan und was man verpasst hat, dann wendet man sich wieder den Wurzeln zu und schöpft unbewusst aus ihnen neue Kraft. Ohne es zu ahnen, stützen wir uns auf sie. Ich habe mich immer auf mich selbst verlassen, auf meine Arbeit als fleißiger, kleiner Bücherwurm, selbst in den schlimmsten Momenten hatte ich meine Dissertation, meine Habilitation, meine Forschungen, meine Vorträge, mein geliebtes zwölftes Jahrhundert, das immer da war und mir sagte: Halt durch … Eleonore hat mich inspiriert und mir die Hand gereicht!
    Sie parkte vor dem Haus und lud die Lebensmittel aus, die sie eingekauft hatte, ehe sie zu Luca gefahren war. Sie hatte reichlich Zeit, um das Abendessen vorzubereiten, Gary, Hortense und Zoé würden erst in gut einer Stunde nach Hause kommen. Schwer beladen trat sie in den Aufzug und ärgerte sich darüber, dass sie nicht daran gedacht hatte, vorher den Wohnungsschlüssel aus der Tasche zu nehmen. Jetzt muss ich die ganzen Sachen über den Boden verteilen! Im dunklen Flur tastete sie nach dem Lichtschalter.
    Eine Frau wartete auf sie. Sie überlegte krampfhaft, an wen sie sie erinnerte, als plötzlich ein rotes Dreieck vor ihren Augen aufleuchtete: Mylène! Die Maniküre aus dem Friseursalon, die Frau, die mit ihrem Mann weggegangen war, die Frau mit dem roten Ellbogen. Ein Jahrhundert schien es her zu sein, seit sie wütend das rote Dreieck ausgemalt hatte, das aus dem Seitenfenster des Autos hervorlugte.
    »Mylène?«, fragte sie unsicher.
    Die Frau nickte, folgte ihr, half ihr, die Packungen aufzuheben, die zu Boden fielen, als Joséphine ihre Schlüssel suchte. Sie setzten sich an den Küchentisch.
    »Ich muss das Abendessen kochen. Die Kinder kommen bald nach Hause …«
    Mylène machte Anstalten, wieder zu gehen, doch Joséphine hielt sie zurück.
    »Wir haben genug Zeit, sie kommen erst in einer Stunde. Möchten Sie etwas trinken?«
    Mylène schüttelte den Kopf, und Joséphine bedeutete ihr, sitzen zu bleiben, während sie die Einkäufe wegräumte.
    »Es geht um Antoine, nicht wahr? Ist ihm etwas zugestoßen?«
    Mylène nickte, und ihre Schultern begannen zu zittern.
    Joséphine nahm ihre Hände, und Mylène sank schluchzend an ihre Schulter. Joséphine wiegte sie eine Weile. »Er ist tot, habe ich recht?« Mylène presste ein tränenersticktes »ja« hervor, und Joséphine drückte sie an sich. Antoine, tot … Das war nicht möglich … Ihr kamen ebenfalls die Tränen, und die beiden Frauen weinten eng umschlungen.
    Nach einer Weile richtete sich Joséphine wieder auf und trocknete sich die Augen.
    »Wie ist das passiert?«, fragte sie.
    Mylène erzählte. Von der Farm, den Krokodilen, Mister Wei, Pong, Ming, Bambi. Von der Arbeit, die immer schwieriger wurde, den Krokodilen, die sich einfach nicht vermehren wollten und jeden zerfleischten, der ihnen zu nahe kam, den Arbeitern, die sich weigerten zu arbeiten und stattdessen die Hühnervorräte plünderten.
    »Mit der Zeit zog sich Antoine immer mehr in seine Gedanken zurück. Er war da, ohne wirklich anwesend zu sein. Nachts ging er nach draußen, um mit den Krokodilen zu reden. Das hat er jeden Abend gesagt: Ich gehe raus und rede mit den Krokodilen, sie müssen auf mich hören. Als ob Krokodile zuhören könnten! Eines Abends ist er wie jeden Tag hinausgegangen und zu ihnen ins Wasser gestiegen, Pong hatte ihm gezeigt, wie man das macht, wie man sich neben sie gleiten lässt, ohne dass sie einen angreifen … Sie haben ihn gefressen!«
    Sie schluchzte auf und holte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche.
    »Man hat kaum etwas von ihm wiedergefunden. Nur die Taucheruhr, die ich ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, und seine Schuhe …«
    Joséphine richtete sich auf, und ihr erster Gedanke galt ihren Töchtern.
    »Die Mädchen dürfen nichts davon erfahren«, schärfte sie Mylène ein. »Hortense schreibt in einer Woche ihre Prüfungen, und Zoé ist so sensibel… Ich werde es ihnen nach und nach beibringen. Zuerst sage ich ihnen, dass er verschwunden ist, dass niemand weiß, wo er ist, und irgendwann sage ich ihnen dann die Wahrheit. Er hat

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