Die Geliebte des Piraten
nachsichtig. »Nein, unter Brüdern.«
Verblüfft ließ sich Raiden langsam auf den nächstbesten Stuhl sinken. »Seit wann weißt du es?«
»Seit Jahren. Seit du und ich Kinder waren. Vater hat es mir gesagt.«
»Dann hast du also einige Zeit mit diesem Bastard verbracht.«
»Bastard, nein, Zeit ja. Er ist nicht schlecht, musst du wissen.«
»Ach wirklich? Hat er deine Mutter geheiratet?«
»Nein, und er hat sie auch nicht lange geliebt. Er liebt Sayidda.«
Raiden runzelte die Stirn.
»Ransoms Mutter.«
»Na, das freut mich aber für ihn«, bemerkte Raiden mokant.
Roarke überhörte diese Bemerkung. »Eigentlich hat er immer sie am meisten geliebt, aber schließlich – hast du nicht auch schon zwei Frauen zur selben Zeit geliebt?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Schade.«
»Was hat das alles mit Willa zu tun?«, stieß Raiden zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Gar nichts. Mir gefällt es nur, zu sehen, wie du dich windest.«
Raiden warf ihm einen entrüsteten Blick zu. »Ich winde mich nicht.«
»So wie du nicht siehst, was du hast, bis es weg ist.«
Raiden schien widersprechen zu wollen, doch dann stieß er einen langen Atemzug aus. »Ja.« Er starrte zu Boden und rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Er gestand sich ein, dass er sich ohne Willa entsetzlich unvollständig fühlte. »Ich bitte dich, Bruder«, sagte Raiden leise, »sag mir ein einziges Wort, das diesen Schmerz lindert.«
Roarkes Gesichtszüge wurden weich vor Mitgefühl. »Sie war am Leben, als er sie mitgenommen hat«, sagte er. Er wusste, dass es nicht reichte, um seinem Bruder die Angst zu nehmen. »Und da war etwas an Lord Eastwick, das mir zu denken gegeben hat.«
Raiden ließ die Hände sinken. »Noch etwas anderes, außer dass er befohlen hat, dich niederzumetzeln?«
Killgaren warf ihm einen Blick zu, der sagte, dass Eastwick dafür noch teuer bezahlen würde. »Es waren seine Augen, die Blässe seiner Haut.«
»Vielleicht ist er krank.« Raiden hoffte, dass der Mann von schwärenden Wunden übersät und davon gezeichnet würde wie ein Aussätziger.
Roarke schüttelte den Kopf. »Nein, krank schien er mir nicht zu sein. So hat er sich ganz und gar nicht verhalten; er hat nicht gewankt, und auch seiner Sprechweise war nichts anzumerken. Aber seine Haut … sie sah so … ich weiß nicht … sie sah fast durchsichtig aus.«
»Bist du dem Mann vorher schon einmal begegnet?«
»Nein.«
»Vielleicht sieht er immer so aus.«
Roarke nickte, als stimmte er zu, aber Raiden konnte sehen, dass es ihn noch weiter beschäftigte. »Wie ist sie an Land gekommen r«
Raiden stand auf, während er Roarke davon erzählte. Sein Zorn steigerte sich mit jedem Wort. »Sie ist eine Närrin, deswegen ihr Leben zu riskieren.« Und es ist meine Schuld, dachte Raiden, allein meine Schuld.
Killgaren ließ den Kopf aufs Kissen sinken und sah seinen Bruder eindringlich an. »Sie hatte sich entschlossen, zurückzugehen, ehe wir Eastwick trafen.«
Raiden fuhr herum, sein harter Blick schien Roarke festnageln zu wollen.
»Sie wollte zurück sein, ehe du ihre Flucht entdecken würdest«, fügte Roarke hinzu.
»Warum?« Er musste diese Frage stellen, auch wenn er sich vor der Antwort fürchtete. »Sie wollte ihre Freiheit. Und sie hatte doch erreicht, was sie wollte.«
Roarke sah seinen Bruder an und entschied, dass er ein Dummkopf war, wenn er die Wahrheit nicht erkannte. »Sie wollte dich mehr als ihre Freiheit.«
Raidens Beine gaben nach, und er stützte sich am Tisch ab. Willa hatte zurückkommen wollen. Zu ihm. Was hatte sie veranlasst, ihre Meinung zu ändern, trotz der Mühen und Gefahren, die sie auf sich genommen hatte, um an Land zu kommen? Warum hätte sie in seine Kabine und in die Gefangenschaft zurückkehren wollen? Und das auch noch, nachdem er sie so schändlich behandelt hatte! O Gott, all die Dinge, die er zu ihr gesagt hatte. Er seufzte vernehmlich und kniff sich in den Nasenrücken. Als er aufschaute, musterte Roarke ihn mit einem seltsamen Lächeln.
Raiden zog die Augenbrauen hoch und sah ihn fragend an.
»Ich genieße diesen Augenblick«, erklärte Roarke. »Ich habe dich seit Jahren beobachtet, wie du dir unbeirrbar und unbesiegbar deinen Weg über die Meere gesucht hast, um der bei weitem reichste und gefürchtetste Pirat zu werden. Und jetzt zu sehen, dass die Geste einer Frau dich bis in die Grundfesten erschüttert, ist ein Vergnügen, das ich vermutlich nicht wieder erleben werde.«
Raiden
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