Die Geliebte des Piraten
zusammenzudrücken schien. Er würde sich nichts wünschen, was niemals sein konnte. Er konnte es nicht. Mehr zu erwarten würde nur bedeuten, später wieder verletzt zu werden. Als würden die Qual und die Scham über sein Handeln ihn nicht schon jetzt zerstören. Und dennoch – im geheimsten Winkel seines geschundenen und von Narben gezeichneten Herzens wagte es Raiden, die Sehnsucht nach mehr zuzulassen. Aber, so fragte er sich im selben Atemzug, würde ihn dann nicht dasgleiche Schicksal ereilen wie vor mehr als einem Dutzend Jahren? Würde er wieder die Liebe finden und sie auf grässlichste Weise auch wieder verlieren? Dieses Mal, das wusste er, würde er es nicht überleben.
Balthasars laute Stimme riss Raiden aus seinen Gedanken, und er zuckte zusammen.
»Captain?« Balthasar warf einen Blick auf Roarke, runzelte die Stirn und sah zu Raiden. »Ich werde die Wunde wieder öffnen, so wie Lady Eastwick es getan hat.« Er trug ein Tablett in den Händen, auf dem alles Nötige für einen Verbandswechsel bereitlag. »Es ist dasselbe, denke ich. Irgendetwas steckt noch in der Wunde.«
Raiden nickte. »Ich bin auf Deck. Schickt nach mir, wenn eine Veränderung eintritt.« Er warf einen letzten Blick auf seinen jüngeren Bruder und ging zur Arrestkammer.
Raiden machte sich nicht die Mühe, die Männer anzusehen, die, in Ketten gelegt, in der kleinen Zelle hockten. Hier unten im Rumpf der Renegade war die Luft feucht und stickig.
»Wir wussten nicht, dass sie im Boot war, Cap’n.«
»Es ist der einzige Weg, auf dem sie an Land gelangen konnte«, sagte Raiden. Die Hände auf dem Rücken verschränkt, ging er auf dem engen Gang vor der Zelle hin und her.
»Es sei denn, die Haie haben sie gefressen«, sagte Cheston und kicherte leise.
Raiden blieb stehen und sah ihn verächtlich an. »Captain Killgaren bestätigt, dass Lady Eastwick an Land gegangen ist. Das bedeutet, dass irgendjemand sie zur Küste gebracht hat. Und dass dieser Jemand ohne Erlaubnis das Schiff verlassen und die Renegade unbewacht gelassen hat.« Er setzte seine Wanderung fort, seine Schritte waren langsam, methodisch. Er wusste, dass es die Gefangenen nervös machte. Und eben das war Raidens Absicht. Darüber hinaus wirkte es beruhigend auf den Gefühlssturm, der in ihm tobte.
»Es waren viele Männer an Bord«, wagte Vazeen zu bemerken.
Raiden blieb stehen, sein Kopf fuhr herum. Sein Blick war so kalt wie geschliffenes Eis. »Ihr habt Befehle missachtet!«
Die fünf Männer erbleichten. Dieses Vergehen bedeutete mindestens, ausgepeitscht zu werden. Und schlimmstenfalls das Ausgesetztwerden.
»Ihr werdet bei Brot und Wasser in dieser Kammer bleiben bis ich genügend Aussagen gesammelt habe und mit dem Rest der Mannschaft über euer Schicksal entscheiden werde.« Die Gefangenen ließen die Köpfe hängen. Ihnen war bewusst, dass ihre Zeit bemessen war. »Sollte Captain Killgaren sterben, werde ich euch auch dafür zur Verantwortung ziehen.«
»Warum? Was haben wir denn damit zu tun?«, stieß Dobbs hervor.
»Hättet ihr das Beiboot nicht gestohlen und wärt nicht an Land gegangen – und dabei, nebenbei bemerkt, riskiert, dass wir entdeckt werden –, hätte Lady Eastwick keine Möglichkeit gehabt, an Land zu kommen. Captain Killgaren hätte sie nicht verteidigen und sein Leben dabei aufs Spiel setzen müssen.« Raiden ging zur Leiter und blieb kurz stehen, um noch hinzuzufügen: »Und sollte sein Leben verloren sein, wird es keine Gnade geben.«
Während Raiden die Leiter erklomm, betete er darum, dass Roarke überlebte. Und er hoffte, dass er von ihm die Information bekommen würde, die ihn zu Willa führen konnte, das letzte Stück des Puzzles, das ihm noch fehlte. Raiden wünschte, ihm würde noch eine andere Lösung einfallen als Tristan das Kommando über die Sea Warrior zu erteilen und den Kapitänen der übrigen Schiffe den Rückzug aus der Straße von Malakka und den südlichen Gewässern zu befehlen. Sie mussten fort von den schwer bewachten Häfen. Aber ohne die Initiative zu ergreifen, würde er Willa auf den Banda-Inseln niemals finden.
Als er über das Oberdeck ging, wurden seine Schritte zögernder. Allmächtiger, was würde mit ihr geschehen? Einmal in Peachwoods Hand, könnte dieser sie als Sklavin verkaufen, als Tauschobjekt missbrauchen, sie töten. Mit einer winzigen Dosis Gift, und niemand würde je danach fragen. Diese Gedanken trieben Raiden zur Eile an. Mit raschen Schritten ging er zu seiner Kabine. Die
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