Die Geliebte des Rebellen
Stimme war kaum lauter als das Rascheln der Blätter im Wind. Ein halbes Dutzend Gestalten hielt sich im Schilf am Ufer der Liffey verborgen und beobachtete die englischen Soldaten, die ausgelassen in dem Fluss badeten.
“In der Tat”, entgegnete Rory und sah den Bauern, der neben ihm kniete, an. “Ich hatte gehofft, sie wären in einer kleineren Gruppe unterwegs. Aber es sieht so aus, als seien beinahe fünfzig der Bastarde hier zu einem fröhlichen Bad versammelt.”
“Seit die Engländer die heilsamen Kräfte der heißen Quellen entdeckt haben, ist der Fluss zu einem ihrer liebsten Treffpunkte geworden”, erklärte der Bauer und rümpfte ob des starken Schwefelgeruchs in der Luft die Nase. Dann setzte er verbittert hinzu: “Hier können sie sich entspannen, wenn sie sich mal wieder einen Spaß daraus gemacht haben, einige von uns zu töten.”
Rory beobachtete unverwandt das Treiben am Fluss. “Bist du sicher, dass der mit der Narbe unter ihnen ist?”
Angestrengt spähte der Bauer in die Ferne. “Ich habe ihn noch nicht entdeckt. Aber er war auf jeden Fall gestern dabei, als einige dieser Bastarde meine Tochter in den Feldern entdeckten und Grauenvolles mit ihr taten.” Sein Tonfall verriet die Qual, die er empfand. “Sie ist erst elf, Rory …” Dem Bauern versagte die Stimme. Erst nach einer Weile fuhr er fort: “Der mit der Narbe bestand darauf, meinem Kind als Erster Gewalt anzutun. Von meiner Tochter erfuhren wir, dass er jeden, der nicht mitmachen wollte, verhöhnte und verspottete.”
Rory legte dem Bauern mitfühlend eine Hand auf den Arm, als dieser hasserfüllt zischte: “Ich will derjenige sein, der diesen Schweinehund tötet.”
“Ich weiß, wie dir zumute ist, Seamus”, versicherte Rory. “Aber du hast schon genug getan. Geh jetzt nach Hause zu deiner Familie.”
“Ich finde erst Ruhe, wenn ich seine Leiche sehe.” Seamus berührte die einzige Waffe, die er besaß, ein kleines Messer mit einer gebogenen Klinge.
“Aber deine Familie braucht dich”, wandte Rory ein. “Wer sonst soll für sie sorgen und sie beschützen? Also, geh jetzt, und vertrau uns, dass wir es den Engländern heimzahlen werden.”
“Du wirst ihn töten, Rory? Für meine kleine Fiona und für mich?”
“Ja.” Für Caitlin, dachte Rory, ganz besonders für Caitlin.
Seamus bemerkte den Ausdruck mörderischen Hasses in seinen Augen und hatte keinen Zweifel daran, dass er fürchterliche Rache üben würde für das Leid und die Schande, die die Engländer über seine Familie gebracht hatten.
Rory O’Neils Ruf als furchtloser Krieger, der einen erbarmungslosen Rachefeldzug gegen die Engländer führte, hatte sich in den vergangenen zwei Jahren bis in den letzten Winkel Irlands verbreitet. Wo auch immer es zu einem Kampf zwischen Iren und den Soldaten Ihrer Majestät kam, war Rory an vorderster Front anzutreffen.
Er hatte mittlerweile so viele Engländer getötet, dass ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt worden war. Landauf, landab wurde er der “Blackhearted O’Neil” genannt. Diesen Namen verdankte er der Erbarmungslosigkeit, mit der er von seinem Schwert Gebrauch machte.
Doch obwohl sogar jedes Kind in Irland seine genaue Personenbeschreibung kannte, wurde Rory von seinem Volk dermaßen geliebt, dass er darauf vertrauen konnte, in jeder Stadt und jedem Dorf sicheren Unterschlupf vor seinen Häschern zu finden. Wo er auch auftauchte, fand er Kämpfer, die sich ihm anschlossen.
“Wie lange müssen wir noch warten?”, flüsterte einer der jungen Männer, nachdem der Bauer verschwunden war.
“Geduld, Colin”, mahnte Rory. “Bald ist es so weit.” Er beobachtete, wie auch die letzten der Soldaten, abgesehen von wenigen, die Wache halten mussten, ihre Sachen ablegten und ins Wasser wateten. Unbekümmert schwammen sie herum und bespritzten sich gegenseitig unter lautem Lachen mit Wasser.
“Seid ihr bereit?” Rory erhob sich und zog sein Schwert aus der Scheide. Seine Männer taten es ihm gleich, und plötzlich schien die Luft erfüllt von erregter Vorfreude. Niemand sprach, alle warteten gespannt auf das Signal ihres Anführers.
“Jetzt”, flüsterte Rory grimmig.
Unter ohrenbetäubendem Gebrüll stürmten die Angreifer die Uferböschung hinunter. Bevor die englischen Wachen auch nur ihre Schwerter zücken konnten, waren sie von den Iren bereits überrannt worden. Die Soldaten, die wenige Augenblicke zuvor noch sorglos ihr Bad genossen hatten, versuchten entsetzt, zu ihren Waffen zu kommen.
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