Die Geliebte des Trompeters
Vater machte das wütend, unendlich wütend, oder vielleicht suchte seine allgemeine Wut, sein Hass auf die eigene |15| Hilflosigkeit, auch nur ein Ventil. Aus dem Jungen sollte ein Mann werden, verdammt noch mal! Der Vater nahm das selbst in die Hand. Alles und jedes wurde bestraft und verboten. Nur eine Posaune schenkte er dem Zehnjährigen, deren Gewicht den zarten Jungen allerdings schier zu Boden zog. Das sah selbst der Vater ein: Eine Posaune war nicht das richtige. Die Trompete, die das allzu mächtige Instrument ersetzte, die spielte der Junge bald so hingebungsvoll, dass kein Kirchenchor und keine Altenversammlung mehr eine Chance hatten. Der Vater war zufrieden: Er würde einen richtigen Mann aus dem Jungen machen!
Wo ist mein Baby geblieben?, weinte die Mutter, die vergeblich darauf hoffte, dass der Mann ihr ein neues Kind machte. Aber der Mann dachte nicht daran. Ihm war die kleine Familie jetzt schon zu viel. Er war, das spürte er, eigentlich nicht zum Familienvater bestimmt. Sondern zu etwas anderem, Größerem. Und daran hinderte ihn die Frau! So viel war klar.
Und wieder brach sie durch, die große Wut. Und entlud sich in Schlägen und Fausthieben gegen die Mutter des Jungen. Der Zwölfjährige war in seinem Zimmer und versuchte die großen Swing-Melodien aus dem Radio nachzuspielen. Sie waren verwirrend, diese Melodien: große, kühne Schleifen und dann wieder scharfe, schnelle Akkordfolgen, wie Schwalben, die Formation fliegen, und der Junge, wenn er so Radio hörte, die Trompete an den Lippen, legte unwillkürlich den Kopf in den Nacken, als wolle er wirklich versuchen, dem Flug der Schwalben zu folgen und sich ihre Lieder einzuprägen. Mit seiner Trompete konnte er fliegen. Aber die Schreie, die er hörte, waren keine Vogelschreie, sie kamen von seiner Mutter. Und seine Mutter flog nicht, sie stürzte. Der Junge rannte voller Angst in die Küche, um ihr zu helfen. Es gab kein Instrument gegen den Schmerz.
|16| Also brach er auf, mit sechzehn, zur Army. Das war nun ein bisschen mehr Männlichkeit, als dem Vater recht war, aber was sollte er machen? Die Frau hing weinend an seinem Arm, da musste er so tun, als ob er es gut fände. Und eigentlich fand er’s auch gut: Irgendwer musste es den Japanern ja zeigen oder den verdammten Nazis, was spielte es für eine Rolle, dass die schon vor anderthalb Jahren kapituliert hatten! Der Vater trug sogar den Instrumentenkoffer des Jungen, er reichte ihm das Gepäckstück die Gangway hinauf: Mach’s gut, Junge, zeig’s denen da drüben. So richtig hatte er nicht kapiert, wo’s hinging, auch der Junge hatte es erst in letzter Minute erfahren, nach der üblichen Grundausbildung, die drei Monate dauerte und für Indochina genauso nützlich sein sollte wie für das besiegte Deutschland: Durch den Dreck robben, Handgranaten schmeißen, das Sturmgewehr putzen. Putzen schien die Lieblingsdisziplin aller sadistischen Sergeants zu sein. Und es gab eine Menge Sadisten in Fort Lewis. Dort war ihm Dick zum ersten Mal aufgefallen.
Dick, ein einfacher Rekrut wie er,
Private Dick Douglas
aus Pasadena, hatte zum dritten Mal den Boden der Offiziersmesse schrubben müssen. Und Dick? Nahm den Eimer, füllte das scharf riechende Putzmittel und acht Liter Wasser hinein – dann öffnete er seinen Hosenstall und pisste ins Wasser. Dabei begann er fröhlich zu pfeifen und putzte und zwinkerte dem verblüfften Jungen zu, der sich bemühte, nicht auf Dicks Hose zu starren, denn
so ein Ding
hatte er noch nicht gesehen.
Der Junge hielt sich in Dicks Nähe und war fast ärgerlich, dass sie von Fort Lewis noch einmal nach Hause kamen für dreißig Tage. Aber da stellte er fest, dass er schon ein Fremder war, selbst Shirley roch fremd und fühlte sich fremd an, auch wenn sich ihre vorwitzigen kleinen Zitzen noch genauso eifrig unter seinen Fingern aufrichteten wie vor sechs Monaten. Was hätte er ihr erzählen können? Und so nestelte er lustlos |17| an Shirley herum, zog sie halb aus und dann wieder an und versuchte, dabei nicht an das M1 zu denken, das genauso glatt und widerstandslos in seinen Händen lag wie das Mädchen.
Und dann schifften sie sich ein, in Camp Kilmer, New Jersey, nun keine Jungen mehr, sondern Männer mit einer Mission. Das Hochgefühl hielt, bis die ersten drei Dutzend seekrank wurden. Dann weitere fünfzig. Irgendwann gut ein Drittel der eintausendachthundert. Und während das große graue Schiff über den Atlantik schleuderte und die Männer in seinem
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