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Die Geliebte des Trompeters

Titel: Die Geliebte des Trompeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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Frauen herausgegriffen, Irmgard darunter und die leutselige Marie, die hinkte und von der alle glaubten, dass sie Frauen liebte. Und dann war das Unfassbare geschehen: Da hatte Irmgard, vorgeblich, um die arme Marie zu schützen, ihre beiden Töchter vorgeschickt und zitternd gesagt:
Ja otschen bolen   …
ich bin krank. Der Trick in schlechtem Russisch hatte gewirkt. Die Russen waren abgezogen mit den schreckensstarren Töchtern, hinauf in eine der Wohnungen …
    Aber die Mädchen hatten Glück im Unglück gehabt, denn die Russen hatten ihnen Geld dagelassen, einen Batzen Geld, und sie waren wiedergekommen und hatten sie vor den anderen beschützt, mehr oder weniger jedenfalls. Die Nachbarn aber redeten seitdem nicht mehr mit Irmgard, sie wurde geschnitten wie eine Verbrecherin, und gleich am nächsten Tag hatten Seidels und der dürre Gropius ihre Wohnung verlassen, obwohl sie nicht gewusst hatten, wohin.
    Das war der Anfang gewesen, der Anfang des Friedens, und Irmgard hatte gewusst, dass sie nie mehr dieselbe sein würde, dass der Frieden sie zu etwas gebracht hatte, was fünf Jahre Krieg nicht geschafft hatten, aber vielleicht war der Krieg ja gar nicht zu Ende, vielleicht ging er weiter, obwohl nicht mehr geschossen wurde oder nur ganz selten. Die Töchter hatten nicht protestiert, sie hatten auch nicht protestiert, als ihre russischen Galane wiedergekommen waren und offenbar glaubten, sich eine Art Gewohnheitsrecht erworben zu haben. Manchmal hoffte Irmgard, dass Renate und Riccarda begriffen oder geahnt hätten, was ihre Mutter zu ihrer Tat |11| veranlasst hatte. Es war doch ein Notfall! hatte sie einmal hilflos gesagt. Es war doch ein Notfall.
    Wörter waren nie Irmgards Stärke gewesen, immer schon hatte sie sich damit in Schwierigkeiten gebracht. Marie konnte reden. Marie redete oft für ihre Freundin. Vielleicht konnte sie so gut reden, weil sie sonst nicht viel taugte, mit ihrem Hinken, dachte Riccarda. Jedenfalls für die anderen. Aber zu dem Vorfall im Keller schwieg Marie. Gerade Marie schwieg dazu. Je mehr Irmgard sich danach sehnte, dass Marie etwas dazu sagte, desto beharrlicher schwieg sie. Sie war ja davongekommen. Und die Davongekommenen hatten nichts zu sagen. Als hätten sie das Recht zu reden verwirkt. Wenn Marie danke gesagt hätte, wäre das wie eine Absolution gewesen – gleichzeitig aber auch das Ende. Das wusste Irmgard und hoffte trotzdem auf ein Wort, vielleicht nicht auf einen Dank, aber doch auf ein Wort. Das Wort aber blieb aus. Und als Irmgard vom Notfall sprach, zum Nachbarn Schlüter, der sich daraufhin abrupt umdrehte und durch das zerschossene Treppenhaus nach oben forthumpelte, da zuckte auch Marie zusammen. Es war nicht gut für Irmgard, zu reden. Sie spürte es. Sie spürte, dass
der Notfall
gar nichts erklärte. Seit Kriegsende war doch immerzu Notfall gewesen. Er hörte gar nicht mehr auf, dieser Notfall, er wurde zum Normalfall, der Notfall, und wer das nicht ertrug, der hängte sich auf. Oder steckte den Kopf in den Herd.
    Im Herbst 1946 häuften sich die vermeintlichen oder echten Gasunfälle bei den Berlinern. Die Fensterstürze. Die aufgeschnittenen Handgelenke. Und dann kam der Winter, in dem alles einfror, auch die Verzweiflung, auch die Wut. Die erste Kältewelle noch vor Weihnachten. Die Stadt atmete ein und aus und wieder ein – und dann nicht mehr. Die Flüsse hielten inne; ihr Eis schloss die Kohlefrachter ein. Die Menschen gingen nicht, sie liefen gebückt, gekrümmt von |12| den Minusgraden. Sie verließen die Häuser nur für das Notwendigste, um Brennholz zu holen, beim Händler an der Ecke. Eine Kiste pro Haushalt, das reichte hinten und vorne nicht und war klamm und stank und rauchte, dass man die Türen aufriss und so die kostbare Wärme wieder entwich. In den Fenstern knisterten die Pappen vor Frost. Noch eine Schicht Pappe davorgeschoben, noch ein paar Lumpen geopfert. Fensterglas gab es nicht mehr in dieser Stadt, allenfalls Reste, zerbrochene Scheiben, Drahtglas an Oberlichtern, durch die schon lange kein Licht mehr drang. Nie war es Tag in diesen Wohnungen. Im Winter vor Weihnachten fiel in Neukölln ein Mädchen spätabends mit der Tür ins Haus. Sie schloss auf, aber der Riegel bewegte sich nicht, sie ruckelte und ruckte und kippte schließlich mit einem Knall in den Flur. Die Hausbewohner stürzten sich auf Rahmen und Türe: brennbar auch das. Von morgen an ertrüge man die Kälte, morgen, morgen zahlte man den Preis für die Unvernunft, aber

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