Die Geliebte des Trompeters
seine ersten |219| Platten auf, der
Westcoast-Jazz
wurde berühmt, er spielte in Formationen, die wenig später Weltruhm erlangen sollten. Eine deutsche Sängerin namens Caterina Valente kam herüber, um mit ihm ein paar Songs aufzunehmen, und Miles Davis beschimpfte ihn als
Motherfucker
, eine hohe Auszeichnung.
Ricky heiratete ein paar Jahre später – aber nicht Steve. Steve hatte schon eine Frau, das war nicht weiter überraschend, denn er war von dieser ganz besonderen Aufmerksamkeit und Großzügigkeit gewesen, die Männer häufig zeigen, wenn sie nicht bleiben. Ricky heiratete einen anderen Amerikaner, Soldat auch er, und zog mit ihm in eine Stadt namens Gießen, lernte den Frieden der Provinz kennen, ließ sich scheiden und heiratete erneut und blieb mit dem zweiten Mann zusammen, bis er bei einem Unfall ums Leben kam.
In all den Jahren schrieb Renate weiter ihre Karten, manchmal nach Gießen, manchmal nach Berlin. In den siebziger Jahren starb zuerst Siegfried und dann Irmgard, und die Schwestern überlegten lange, ob sie die beiden beieinander bestatten sollten.
Jetzt sind wir Waisen!, sagte die inzwischen graue Renate. Wir waren doch immer Waisen, entgegnete Ricky.
Das hatte der Krieg gemacht, der Vater ein Schatten, die Mutter zerfressen von Schuldgefühlen, weil sie unbedingt hatte überleben wollen. Man hatte diesen Krieg nicht überleben können, man hatte ihn überstanden.
Renates Mann Werner richtete man Werkausstellungen ein. Er malte nicht mehr, das wurde zu anstrengend, er druckte und erzielte mit Grafiken von Tieren einen bescheidenen Erfolg. Die Kinder wurden groß und zogen aus und lebten in alle Winde verstreut. Das Leben verzog sich allmählich.
Und wieder ein paar Jahre später schlug Ricky, nun wieder |220| in Berlin, die Zeitung auf und las vom mysteriösen Tod des berühmten Trompeters, der in Amsterdam aus einem Hotelfenster gestürzt war. Total betrunken wahrscheinlich. Oder vollgepumpt mit Drogen. Oder beides. Rickys Hand zitterte, als sie die Zeitung zur Seite legte. Sie hatte in all der Zeit gewusst, wo er war. Sie hatte ihn nie aus den Augen verloren. Sie hat niemals über ihre Sommerliebe gesprochen.
Als sie alt wurden, zogen Ricky und Renate wieder zusammen. Renate stapelte die Bilder, die Werner ihr hinterlassen hatte, auf dem Dachboden. Einige hängten sie auf. Sie rückten die Möbel zusammen wie früher. Die Wohnung erinnerte an ein Möbellager wie früher. Nur, dass es jetzt ein Lager voller Erinnerungen war. Manchmal gingen sie im Tiergarten spazieren. Dort standen jetzt wieder Bäume wie vor dem Krieg. Der Flughafen Tempelhof sollte geschlossen werden. Von hier aus konnte man schon lange nicht mehr in die USA fliegen, sondern nach Mannheim, Saarbrücken und Friedrichshafen. Als die Amerikaner endgültig abzogen, winkten ihnen die Schwestern wie tausende anderer Berliner hinterher – und weinten ein bisschen. Der Präsident hieß jetzt Clinton und war eigens aus Washington gekommen. Berlin war nicht mehr geteilt. Berlin würde allein zurechtkommen. Wie das ganze Land, das wiedervereinigt und nun wieder groß und erfolgreich war und das einen festen Platz in Europa hatte. Es hatte so gar nichts mehr zu tun mit dem unsicheren, elenden Gebilde der Nachkriegszeit, es stand nur auf seinen Trümmern. Nach der großen Feier bummelten die Schwestern nach Hause, eingehakt, Renate inzwischen ein wenig unsicher auf den Beinen. Ricky schwieg. Am Eingang zur U-Bahn -Station blieben sie stehen, und Ricky kramte eine kleine silberne, kugelrunde Flasche aus ihrem Beutel. Die Schwestern lächelten sich an. Sie nahmen beide einen Schluck. Das Etikett, |221| das auf die Weltausstellung 1939 hinwies, stand kopf. Sie warteten, bis sich die Wärme des Alkohols in ihnen ausbreitete. Renate wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. Noch einen Schluck. Dann gingen sie langsam die Stufen hinunter, immer noch eingehakt und beide ein wenig schwankend, beide gebeugt – so, als trügen sie eine Last auf den Schultern.
|223| Danke
… an alle Fachleute:
Dr. Florian Weiss vom Alliiertenmuseum in Berlin
Thomas Merz vom Flughafen Tempelhof
James Gavin, Autor der vorzüglichen Biographie »Deep In A Dream«
Walter Jonigkeit, Leiter des Berliner »Delphi«-Kinos
den Veteranen der 298th Army Band:
Allen Thompson
David M. Smith
AFN:
Günter Grull, AF N-Sammler
Mark White, ehemal. Programmdirektor von AFN
Dr. John Provan, Technikhistoriker, AFN
… an alle
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