Die Geliehene Zeit
sind.«
Randall, ein bedeutender Historiker, war mit dem Reverend eng befreundet gewesen. Seit langem hatten die beiden Männer ihre Erkenntnisse über die Zeit der Jakobiten ausgetauscht, obwohl Frank Randall seit mindestens zehn Jahren nicht mehr im Pfarrhaus gewesen war.
»Dann wollen Sie wohl auch die historischen Stätten bei Inverness besichtigen«, vermutete Roger. »Waren Sie schon in Culloden?«
»Bis jetzt nicht«, erwiderte Brianna. »Aber wir werden im Laufe der Woche noch hinfahren.« Ihr Lächeln war höflich - mehr nicht.
»Für heute nachmittag haben wir eine Ausflugsfahrt zum Loch Ness gebucht«, sagte Claire. »Und morgen fahren wir vielleicht nach Fort William. Womöglich streifen wir aber auch einfach nur durch Inverness. Der Ort ist beträchtlich gewachsen, seit ich zuletzt hier war.«
»Und wann war das?« Roger fragte sich, ob er seine Dienste als Fremdenführer anbieten sollte. Eigentlich blieb ihm dafür keine Zeit, aber schließlich waren die Randalls enge Freunde seines Vaters gewesen. Zudem erschien ihm ein Ausflug nach Fort William in Begleitung zweier attraktiver Damen weitaus verlockender als die Aussicht, die Garage aufzuräumen.
»Oh, vor über zwanzig Jahren. Es ist lange her.« In Claires Worten schwang ein rätselhafter Unterton mit, doch als Roger sie fragend ansah, begegnete sie seinem Blick mit einem offenen Lächeln.
»Nun«, setzte er an, »wenn es irgend etwas gibt, was ich für Sie tun kann, solange Sie hier bei uns in den Highlands sind...«
Obwohl sie weiterhin lächelte, veränderte sich Claires Miene. Fast hatte Roger den Eindruck, daß sie auf dieses Angebot nur gewartet hatte.
»Wenn Sie es so direkt anbieten...«, meinte sie.
»Aber Mutter, das können wir Mr. Wakefield doch nicht zumuten!« sagte Brianna. »Sieh doch, was er hier alles zu tun hat!« Sie
wies auf die überquellenden Kartons und die meterhohen Bücherstapel.
»Mir würde es aber Spaß machen«, wandte Roger ein. »Worum geht es denn?«
Claire warf ihrer Tochter einen tadelnden Blick zu. »Ich hatte nicht die Absicht, ihn zu überrumpeln«, erklärte sie indigniert. »Aber vielleicht kennt er ja jemanden, der uns helfen kann. Es geht um eine kleinere historische Untersuchung«, fügte sie zu Roger gewandt hinzu. »Ich brauche jemanden, der sich mit den Jakobiten im achtzehnten Jahrhundert auskennt - also mit Bonnie Prince Charles und diesen Dingen.«
Interessiert beugte Roger sich vor. »Die Jakobiten?« fragte er. »Das ist nicht gerade mein Spezialgebiet, aber in den wichtigsten Dingen kenne ich mich aus. Wenn man so nah an Culloden wohnt, kann man gar nicht anders. Dort fand nämlich die Entscheidungsschlacht statt«, erklärte er Brianna. »Die Soldaten des Bonnie Prince standen dem Heer des Herzogs von Cumberland gegenüber und wurden hingemetzelt.«
»Genau«, sagte Claire. »Darum geht es auch bei meinem Anliegen.« Sie öffnete die Handtasche und holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus.
Roger breitete es aus und überflog es rasch. Unter der Überschrift »JAKOBITENAUFSTAND VON 1745/46 - CULLODEN« waren die Namen von etwa dreißig Männern aufgeführt.
»Aha, es geht also um den Jakobitenaufstand«, meinte Roger. »Diese Männer haben in Culloden gekämpft, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte Claire, »und ich möchte wissen, wie viele von ihnen die Schlacht überlebt haben.«
Roger, der noch immer auf die Liste blickte, rieb sich das Kinn. »Eine einfache Frage«, meinte er, »aber womöglich schwer zu beantworten. Von den Hochlandschotten des Bonnie Prince sind so viele gefallen, daß man sie in Massengräbern beerdigt hat. Und die Grabsteine tragen lediglich die Namen der Clans.«
»Ich weiß«, entgegnete Claire. »Brianna kennt das Schlachtfeld noch nicht, aber ich war schon mal da - vor langer Zeit.« Roger glaubte zu sehen, wie ein Schatten über ihr Gesicht huschte. Nicht weiter erstaunlich, dachte er, denn das Feld von Culloden war ein Ort, an dem jeder Ergriffenheit verspürte. Auch ihm traten Tränen in die Augen, wenn er über die weite Moorlandschaft blickte und an
die tapferen Hochlandschotten dachte, die hingemetzelt unter der Grasnarbe in der Erde lagen.
Claire faltete weitere maschinenbeschriebene Blätter auseinander und reichte sie ihm. Während sie mit dem Finger über den Falz strich, fiel ihm auf, wie wohlgeformt und gepflegt ihre Hände waren, die jeweils nur von einem Ring geschmückt waren. Der silberne Ring an ihrer rechten Hand war besonders
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