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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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flitzen. Eine riesige Zahl von Vögeln, die alle von der Angst getrieben werden, ein gewaltiger, in dieselbe Richtung zielender Exodus.
    Sie leeren ihr Gedärm und kacken auf alles, um noch besser fliehen zu können. Der zweite Teil unseres Krieges beginnt mit einer Sintflut aus Vogelmist.
    Unterdessen rollt das Zeug auf uns zu und verändert sich. Es erreicht die Grenze des Landes, das wir als das unsrige festgelegt haben, als den Ort, wo wir sicher sind, und teilt sich vor uns, als liefe es auf Schienen. Es krümmt sich um unsere Grenzen, während die Schreie der Teufel und das Heulen der Verdammten herüberschallen oder wenigstens doch laute, unangenehme Geräusche, die einem die Haare zu Berge stehen lassen und den Drang erzeugen, einem fliehenden Schwan nicht unähnlich, möglichst sofort einen gewissen inneren Druck abzubauen. Rings um mich sind alle mit wichtigen Dingen beschäftigt. Zaher Beys Piratenmönche bewegen sich entschlossen und effizient, ihre Gegenwart ist beruhigend und tröstend. Sie scheuchen die katirischen Zivilisten tiefer in die Burg hinein. Gonzos Leute – seine engsten Mitarbeiter Jim, Sally, Samuel und Annie – wecken die anderen und bringen sie auf Trab. Leah und Tobemory Trent sind in ein berufliches Gespräch über Vorbereitungen für die Triage und Nottransfusionen vertieft. Ich kann nichts tun, außer zuzuschauen.
    Das Zeug ist zottelig und wuschelig. Es stößt an unserer Grenze auf eine Art Druck oder eine Energie und reagiert darauf. Dort schälen sich vertraute Umrisse heraus – bewaffnete Männer, Fahrzeuge, Geschütze. Sie schimmern, gehen ineinander über und gewinnen an Substanz. Manche Erscheinungen sind lächerlich oder furchtbar. Eine kleine Gruppe rennt wie die Waffenbrüder auf Iwo Jima über die Grenze. Sie bleiben zu dicht zusammen, was irgendwie unbeholfen wirkt, und als sie sich umdrehen, erkenne ich, dass alle sieben miteinander verbunden sind. Der Sergeant hat seinem Gefreiten die Hand auf den Rücken gelegt und drängt ihn weiter. Die Hand ist nahtlos mit dessen Uniform und Wirbelsäule verschmolzen. Der Soldat dahinter, der den Sergeant stützt, ist an der Hüfte mit ihm verbunden. Sie torkeln, schreien und stolpern und ziehen die anderen mit. Sie stellen ein Bild dar, das man nur von der Seite betrachten kann, und sind keine realen Männer. Sie sterben, weil sie vielleicht nicht genügend Herzen für alle haben, und sinken auf den Boden, wo sich allmählich ein Teppich aus Leichen bildet, die bekannte Außendekoration eines modernen Gefechts. Kugeln zischen an mir vorbei, aber bisher ist noch kein Gegner da, den wir bekämpfen könnten. Dies ist kein Angriff, sondern eine Atmosphäre. Es ist der Krieg als Rahmenbedingung, der Krieg als Einrichtungsgegenstand. Wir werden von der Idee des Krieges belagert.
    Neben mir schaut ein Mönch in stummer Überraschung an sich herab, als ihm eine Kugel ein Loch in die Brust reißt. Er stirbt lautlos und vielleicht sogar beleidigt, aber nicht fassungslos oder kreischend. Dem Soldaten neben ihm geht es anders. Er atmet ein erstickendes Gas aus, einen Geruch wie von Batteriesäure, und damit einen Teil seiner Lunge. Er würde schreien, hat aber keine Ausdrucksmöglichkeit mehr und starrt mich entsetzt an. Ich sage ihm, dass ich weiß, wie weh es tut, und dass er jetzt sterben muss. Ich weiß. Ich bin da. Er starrt mich an, und ich kann nicht erkennen, ob er dankbar ist oder einfach nicht glauben mag, dass ich etwas so Triviales sage und womöglich auch noch glaube, dass es ihm damit besser geht. Er stirbt vor meinen Augen.
    Jemand legt mir grob und aufdringlich eine Hand auf die Schulter. Ich entziehe mich und drehe mich um. Zähne blitzen, er hat Mundgeruch. Ich schlage zu, blocke eine Waffe ab und stoße ihn fort. Er verschwindet. Ein Schattenmann. Ich bücke mich und bin bereit, aber es geschieht nichts weiter.
    Die feindlichen Soldaten greifen bergauf an. Das ist zwar ein taktischer Fehler der Kommandanten, aber sie gewinnen trotzdem an Boden. Vasilles Panzer feuert, Gliedmaßen fliegen wie in einer Slapstick-Szene vorbei. Ha. Aber jetzt verfügen auch die Feinde über Panzer und fahren den Hügel herauf. Die Kommandanten beobachten uns wie Patten aus den Luken. Als Gonzo die Kette des ersten Panzers sprengt und Vasille die Landschaft beharkt, stellt sich heraus, dass Patten von der Hüfte abwärts mit dem Panzer verschmolzen ist. Eine Schimäre aus Mensch und Panzer. Samuel P. übergibt sich. Niemand lacht ihn aus.
    Es

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