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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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ist ein Spiel oder ein Traum; Welle auf Welle greifen sie an, unkoordiniert und endlos. Tödlich und dumm. Wir kämpfen. Wir sterben. Wir überleben. Sie greifen erneut an. Nirgendwo ist es sicher, keine Stelle ist stärker bedroht als eine andere. Unvollständige, halbe Schattenmänner flackern auf den Fluren. Manchmal töten sie jemanden, manchmal stehen und schleichen sie herum und warten nur darauf, beseitigt zu werden: wie die Kerle mit den roten Hemden in Star Trek (in den ursprünglichen Filmen, nicht in den späteren, als niemand mehr sicher war). Auf der Krankenstation tauchen aus dem Nichts neue Patienten auf. Sie können nicht geheilt werden, sitzen nur da und schreien. Sanitäter, die nicht zu uns gehören, schleppen Verwundete, die wir nicht kennen, und legen sie immer an der gleichen Stelle ab. Der erste Soldat im dritten Bett (eine Packkiste mit einer Decke darauf, aber es ist das dritte Bett) hat eine Kopfwunde. Einen Augenblick später wird ein zweiter auf ihn gelegt, einen Moment lang sind beide da und überlagern einander, dann verschwindet der erste – und mit ihm der Verband, den Trent auf seine Schnittwunde gelegt hat. Seinen Platz nimmt ein junger Bursche mit einer Beinwunde ein, aus der das Blut spritzt. Er verblutet, und einen Augenblick danach hat er beide Verletzungen. Schließlich ist er tot, und sie bringen eine Frau herein und dann noch einen und noch einen.
    Die Sonne kommt heraus, der Wind weht aus einer anderen Richtung. Wir kämpfen weiter. Schattenmänner rudern mit den Armen, sterben und werden nicht ersetzt. Im Sonnenlicht der normalen Welt sehen sie erbärmlich aus – schwerfällige, hässliche Schlägertypen, die kaum etwas ausrichten können. Dumme Kampfmaschinen. Mit Blut bespritzt und weinend schlägt Veda Tsur den Letzten mit einer kupfernen Bratpfanne nieder, und Rao verprügelt ihn methodisch, bis er wie eine zerquetschte Fliege stirbt. Er wollte ihre Kinder angreifen. Jun klammert sich an den Arm eines Vaters und behindert ihn bei jedem Schlag.
    In guter Ordnung und weil wir sehr wütend und verängstigt sind, gehen wir zum Gegenangriff über und machen einen Ausfall. Solche Ausfälle sind in den letzten Jahren aus der Mode gekommen, denn sie funktionieren nicht sehr gut, wenn man es mit Geschützstellungen zu tun hat, zumal es ohnehin keine herkömmlichen Belagerungen mehr gibt. Die Truppen blockieren und greifen an, aber vor allem kämpfen sie sich von Haus zu Haus weiter, weil Belagerungen die Zivilisten vor den Soldaten töten, und das ist ganz allgemein gesagt ziemlich übel. Es mag ja in Ordnung sein, große Zahlen von Zivilisten aus Versehen zu töten, aber sie mit Absicht umzubringen, das ist illegal, und man wird an den Ohren gezogen. Wir machen einen Ausfall, weil, nun ja, weil wir es uns einfach verdient haben. Vasille übernimmt die Führung, Bone Briskett hat die Nachhut, und mitten darin ist die improvisierte mechanisierte Infanterie mit aufgemotzten Ford-Focus-Modellen und gepanzerten Geländewagen.
    Der untere Teil des Abhangs ist ein Leichenhaus. Hier ist alles tot. Wir fahren weiter. Im Wald wird es besser. Die ersten paar Hundert Meter sind glitschig und verbrannt. Danach kommt es mir fast normal vor. Die Bäume haben einige Schüsse abbekommen, ein oder zwei Schafe haben ihr Leben ausgehaucht. Wir fahren umher, werden aber nicht angegriffen. Es regnet – und es ist Wasser. Wir sitzen ab und wandern im Wald umher. Es ist schön. Leah und ich halten Händchen, ich nehme meine Pistole auf die andere Seite und fühle mich wie ein echter Beschützer. Wir lehnen uns an einen Baum und bewundern die Blumen. Wir schnuppern die Luft, die endlich nicht mehr garstig riecht. Wir leben.
    Mein Funkgerät knackt einmal. Alarm, aber nicht das Signal für Feindberührung. Es bedeutet: Habe was Interessantes gefunden, vorsichtig nähern. Nach dem ersten Knacken folgen rasch nacheinander sieben weitere. Einer der Piratenmönche auf der Position sieben im Süd-Südwesten. Wir – Leah, Samuel und ich – sind auf Position fünf. Wir gehen hinüber.
    Der Piratenmönch steht am Rand einer Waldlichtung. Er hat die Stelle mit Bedacht gewählt, denn hier ist er von der Lichtung aus fast unsichtbar, während er selbst durch Farnwedel hindurch alles überblicken kann. Wir schließen zu ihm auf.
    Auf der Lichtung reitet ein Mann. Er ist dick, das Pferd wirkt schlecht gepflegt. Seine Haare sind verfilzt und verkohlt, auf seinen schmutzigen Armen glänzt der Schweiß. Er ist kein

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