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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Decken auf und eilen herbei, um das Bild zu vervollständigen, bis die Familie Tsur vollzählig versammelt ist. Dann, man glaubt es kaum, pflanzt Rao Tsur seiner Frau einen Kuss auf die Wange, als kämen sie gerade von einer Eheberatung, und als müsste er Angst haben, dass sie fortflöge, wenn er sie nicht gelegentlich besänftigte und an sich drückte. In diesem Augenblick steht alles still, dann schnaubt die Tante, und auf einmal beginnt der ganze Hof zu brüllen und zu johlen. Es ist so laut wie eine Explosion und das erste Lachen, das ich seit dem Weltuntergang gehört habe. (Nervöses und böses Lachen zählen hier nicht.)
    Die Leute lachen nicht nur, sondern applaudieren auch. Das Klatschen entwickelt einen Rhythmus, aus dem Rhythmus wird ein Tanz, und durch irgendeinen Zufall befindet sich Rao Tsur jetzt direkt neben Leah. Er schnappt sie, und Veda Tsur, weil Rache wohl süß ist, schnappt mich. Rao trompetet, sie wolle sich wohl mit dem Helden von Fudin davonmachen, und nur weil ich einen Idioten niedergeschlagen und ihr das Leben gerettet habe, werde sie ihn jetzt verlassen. Und eigentlich sei es doch ein Glück, dass er sie los sei, diese treulose Dirne, die dann meine schönen, aufrechten Dämonenkinder aufziehen mag. Daraufhin erinnert Veda bissig daran, dass Rao jetzt im Augenblick gerade diese dralle Ärztin an seine Brust drückt. Ob er sich denn vorstellen könne, dass sie seine ungeschickten Fummeleien gern erdulden werde? Sie wird mit einem hübschen Schäfer davonlaufen, und wo bleibt dann Rao? Allein mit seiner Dummheit. Und überhaupt, was für ein Unsinn! Aber selbst jetzt können sie nicht aufhören, einander anzugrinsen.
    So geht es weiter, immer herum, klapp-klapp-klapp, lala-lala, bis jemand eine Schnur über eine leere Kiste spannt und daran zu zupfen beginnt. Ein paar leere Flaschen machen kling-klang-klong, menschliche Stimmen bilden summend den Rest des Orchesters. Es wird eine ausgewachsene Rock-'n'-Roll-Party, nur eben mit improvisierten Mandolinen und Xylophonen, aber wenig Skiffle, bis sich Tobemory Trent mit einem Schildkrötenpanzer und Knochen einschaltet. Nach dem ersten Tanz nutzt die Tante in aller Demut die kleine Pause, um mich vor der ganzen Menge auf beide Wangen zu küssen, mein Gesicht zu tätscheln und allen zu erzählen, dass jeder, der sich mit mir anlegt, es mit ihr zu tun bekommt. Denn wenn Rao Tsur, der Safranhändler aus Fudin, mich für einen anständigen Mann hält, und wenn Veda Tsur der Ansicht ist, meine Liebste dürfe mit ihrem Gatten tanzen, dann sei es ihr nur recht, selbst wenn ich nicht – wie unbestechliche Quellen ihr persönlich berichtet haben – einen bekannten Idioten vor den Kopf geschlagen hätte, um das Leben der Einwohner von Fudin zu retten. Nun erheben sich noch lautere Jubelrufe, weil Zaher Bey hinter uns auftaucht, der Westentaschentitan, der verklärte Anführer und ehemalige Besucher des Debattierzirkels im Caucus in Jarndice. Zugleich ist er, wie sich herausstellt, der Ententanzlehrer für das Volk von Fudin. Die geheimnisvollen Piraten von Addeh Katir und der Rest der 8. Kampfgruppe der Vereinigten Verteidigungstruppen unter vorläufiger Leitung von G. W. Lubitsch machen mit. Wir tanzen also den Ententanz, und wenn jemand glaubt, Gonzo, Leah, Jim, Sally und ich oder einer der anderen wären irgendetwas anderes als Freunde, dann soll der Betreffende es bitte sofort wieder vergessen, denn wir sind alle Kumpel und außerdem betrunken.
    Am Morgen kehrt der Krieg zurück wie Pusteblumen.
     
    Der Ostwind weht es heran, unwiderstehlich und unausweichlich. Der Wind flattert und kichert aufgeregt, rollt über die Hügel und stäubt den Wald ein. Er ist freundlich und angenehm mild. Staub aus dem Hause Disney. Meilen um Meilen, von hier bis zum Lake Addeh, tanzen kecke Staubflocken und neckische Staubteufel zwischen den Bäumen und fallen mit einem Geräusch in Bäche und Flüsse, als wäre heiße Asche im Schnee gelandet. Wir stehen auf dem langen Balkon, lachen und wünschen uns nickend einen guten Morgen. Heute ist ein schöner Tag. Als es sich nähert, kommt eine Bö auf, dann noch eine, es riecht scharf nach Tieren, der Geruch nistet sich tief in Nase und Mundhöhle ein, und dann kommen Tausende von Vögeln, die vor etwas zu fliehen scheinen. Keine Art herrscht vor, sie fliegen nicht in ordentlichen Schwärmen oder Familien. Schwäne schleppen sich schwerfällig dahin, Gänse flattern, Spatzen (oder Vögel, die ihnen sehr ähnlich sind)

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