Die gelöschte Welt
windschiefer Häuser mit einigen Hotels und Herbergen und voller feindseliger Einwohner. Es erstreckt sich ein Stück weit am Jorgmund-Rohr entlang, wie die Städte sich früher an Straßen oder Flüssen erstreckten. Eigentlich spricht nichts für diesen Ort außer der Tatsache, dass er im Umkreis von tausendfünfhundert Kilometern die größte Ansiedlung ist, die sich nicht auf riesigen Raupenketten fortbewegt. Hier ist es sogar möglich, etwas Geld zu verdienen und an der Leitung entlang weiter bis in eine richtige Stadt zu reisen (weit entfernt im Westen entstehen angeblich richtige Städte und sogar Großstädte). Oder man kann in den neuen landwirtschaftlich genutzten Gebieten rings um das Rohr ein kleines Anwesen kaufen und davon leben. Die Geschichte beweist, dass auch Orte wie Matchingham stets irgendeine Daseinsberechtigung hatten. Aber nur wenige Menschen haben sich tatsächlich entschlossen, eine dieser Möglichkeiten zu nutzen. Es ist wie in der Lotterie. Jeder kennt jemanden, der mal etwas gewonnen hat, aber niemand gewinnt jemals selbst. Irgendwie bleibt der große Durchbruch, der Traum, stets außer Reichweite; die Leute werden einfach nur älter und grauer und verbitterter, und irgendwann sind sie nicht mehr da. Aber niemand fragt nach dem Grund. An einem solchen Ort wissen die Leute, wie man eine Scheibe zerschlägt und die Scherben im Kampf benutzt, ohne sich selbst in Streifen zu schneiden.
Es ist also ein Ort, über den man nicht viel sagen kann. Matchingham hat weniger Geschichte als eine Styroportasse. Und das Bauwerk, das einer Kathedrale oder einem historischen Zentrum am nächsten kommt, ist ein rußiges kreuzförmiges Monument an der Ausfallstraße, das blasphemisch für einen Stripclub wirbt. Matchingham ist nicht einmal eine Schlafstadt. Es gibt keine Großstadt, in der man wach sein könnte.
Wir sitzen hinten in Gonzos Buggy und fahren zu einer Bar, die Ace of Thighs heißt. Das klingt, als müsste sie sich im verruchtesten Stadtviertel befinden. Aber das trifft nicht zu. Matchingham hat keine Stadtviertel, die nicht verrufen sind, und wenn es sie doch hätte, dann wäre das Ace of Thighs dort zu finden. Der Name der Bar klingt ein bisschen anzüglich, und diese Art Anspielung ist für die goldene Elite von Matchingham typisch.
Als wir die Hauptstraße hinunterfahren, wird uns recht schnell klar, wie die guten Leute hier ihre Zeit verbringen. Die weibliche Hälfte tanzt nackt für die männliche Hälfte (abzüglich einer kleinen statistischen Abweichung aufgrund weniger verbreiteter Orientierungen), hält in Behältern voll verschiedener Grundnahrungsmittel Ringkämpfe ab oder tritt in fantasievollen Filmen mit einprägsamen, griffigen Titeln auf. Manche Einwohner betätigen sich auch ungehindert in einem uralten, einfachen Gewerbe. Die Pornoläden von Matchingham decken eine geradezu obszöne Bandbreite ab. Es beginnt mit beinahe kitschigen erotischen Angeboten (gedacht entweder für Touristen, falls dieser Ort jemals einen sah, oder für die zwei oder drei Frauen, die Sex tatsächlich noch als Freizeitvergnügen betrachten). Dann folgt die Abteilung mit HARDCORE!, was sich schließlich bis zu X-TREME HARDCORE!!! steigert, übertroffen nur noch durch verschiedene Vergnügungen, deren Vokabular ungefähr so unverständlich bleibt wie Isaac Newtons zweites Gesetz. Die Grenze, die man nach Möglichkeit nicht überschreiten sollte, wird durch ein kleines Geschäft mit einem handgeschriebenen Schild und einer Menge Staub im Schaufenster markiert. Es steht gleich hinter einem Laden, dessen neue Neonreklame eine Frau zeigt, die den Kopf einer Anakonda verschluckt (die Zeichnung des Tiers ist mit lila Neonröhren überraschend gut nachgebildet), während sie von hilfreichen Cowboys mit etwas geschlagen wird, das an Seesterne erinnert. Offenbar haben die Einwohner von Matchingham trotz beschränkter Ressourcen recht viel Erfahrung mit Perversitäten, die ich ansonsten eher in wohlhabenden Universitätsstädten zu finden erwartet hätte. Aber selbst für diese Bergbaustadt-Caligulas geht die kleine Boutique auf der linken Seite ein wenig zu weit: FREIZÜGIGE EROTISCHE FILME – mit einer Geschichte !!!
Vor dieser abscheulichen Werbung weichen die Männer auf die andere Straßenseite aus, klappen die Kragen hoch und wenden den Blick vom staubigen Äußeren ab. Respektable Prostituierte rümpfen wie Nonnen aus Salem die Nasen. Welche Schande! Geschichten dazu: Meidet diese Aussätzigen! Ein
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