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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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gelangweilter und unglaublich hässlicher Jugendlicher sitzt drinnen an einem Tisch und wartet auf den ersten stark verkleideten Kunden des Abends.
    Jenseits dieser Lasterhaftigkeit lauert das Ace of Thighs, eine weitläufige Pyramide für den toten Gott des Begehrens. Zwischen der Bar und dem Laden mit den Pornogeschichten gibt es eine kleine Gasse, die unterwegs sogar den Namen wechselt. So bringt das Ace of Thighs zum Ausdruck, dass es mit dem Ausbund an Verwerflichkeit, der vor ihm liegt, nichts zu tun habe. Es ist der Beginn einer frischen, neuen Unschuld, die von hier bis zur nächsten Kurve reicht (»Waschen Sie die Frau Ihrer Wahl!«) und weiter zu dunkleren Fantasien, die wohl auch besser in der Dunkelheit verborgen bleiben. An der Seitenwand des Ace of Thighs hängt die riesige Nachbildung zweier kräftiger Frauenbeine aus Pappmaschee, eine Spielkarte bedeckt die strategisch wichtigste Stelle. Es wirkt, als hätte sich eine gewaltige Hure nach einer harten Nacht aufs Haus gesetzt, woraufhin die Mauer nachgegeben hätte und die Hure rückwärts in die Bar gekippt wäre. Ihre geschwollenen, bunten Fußgelenke ragen aus den Stöckelschuhen, der westliche Fuß hängt wie ein mit Diamanten besetzter Sperrballon über der Kreuzung. Wenn ich den Haupteingang benutze, sehe ich der gestürzten Frau direkt ins riesige Auge. Zweifellos ist die große Kugel glasig und blutunterlaufen, dazu stinkt der ganze Laden nach ihrem Schnapsatem. Das ist der unweiblichste Ort, an dem ich je gewesen bin. Manche Männer denken so, aber es sind nicht sehr viele.
    Vor dem Eingang hat sich eine Schlange gebildet. Es sind große, vierschrötige Männer mit blauen Mützen in Jeans oder Stoffhosen. Gleich darauf wird mir klar, dass es keine Schlange ist, sondern eine Art Auflauf. Entweder dort bricht gleich ein Streit aus, oder es ist ein Drogendeal oder sonst etwas, mit dem wir nichts zu tun haben wollen. Wir gehen weiter am Absperrseil entlang – es gibt sogar einen roten Teppich, der mir so vorkommt, als stammte er aus einem ausgeweideten Hotel. Der Türsteher mustert mich und erklärt uns für akzeptabel (Samuel P. scheint ihn zu kennen). Wir gehen hinein.
    Es ist eigenartig, aber ich erforsche mit meinem Blicken ständig die dunklen Ecken des Ace of Thighs. Davon gibt es ziemlich viele, denn das Lokal soll möglichst anrüchig wirken. Aber sobald man sich an den schrecklichen Laden gewöhnt hat, ist es eigentlich gar nicht mehr so schlecht. Es ist in dem Sinne sauber, dass weder sichtbarer Dreck noch offensichtliche Körperflüssigkeiten zu entdecken sind. Die Samtsofas haben nicht allzu viele Brandlöcher. Die Kellnerinnen sind aufmerksam und gelassen und unterscheiden sich von den Tänzerinnen und Hostessen beiderlei Geschlechts durch ihre strenge und bewusst unattraktive Uniform, die den Blick auf die viel offenherzigeren Unterhaltungskünstlerinnen lenkt. Nacktheit über Bande.
    Gonzo ruft die nächste Kellnerin und lässt ein paar Hostessen antreten, die sich ringsherum verteilen, ein wenig Haut zeigen, uns mit erfundenen Geschichten über medizinische Abschlüsse und sexuelle Begierden langweilen und uns vor allem über den Tisch ziehen. Das ist ein Teil des Vergnügens. Wir sitzen an einem runden Tisch mit roter Lederdecke auf großzügigen roten Samtstühlen mit goldenen Nähten. Eine Frau hockt sich auf meine Stuhllehne und behauptet, ich sei der Glückliche. Die Muskeln in ihrem Gesicht bewegen sich kaum, wenn sie lächelt. Ihr Name lautet anscheinend Saphira d'Amour. Sie spricht es wie »da mor« aus, der Tod. Wenn man Liebe will, muss man sich das fehlende »u« wohl selbst suchen. Nicht einmal nach den gesellschaftlichen Maßstäben eines Stripclubs entsteht zwischen Saphira und mir eine enge Freundschaft. Nach einer Weile hebt Annie sie einfach hoch und verpflanzt sie zu Samuel P., der davon entzückt ist. Sofort wird klar, dass sie bis auf ein paar Jahre im gleichen Alter sind, dass sie auf unterschiedlichen Schulen waren, die aber den gleichen Namen trugen, dass sie beide Mathematik und das Essen in der Schulküche verabscheuten und dass keiner der beiden seine Schulbildung abschließen konnte, weil sie vorher in Erziehungsheime gesteckt wurden. Wie seltsam und mächtig ist doch die Synchronizität der Romantik im Ace of Thighs ! Die Situation verlangt nach einem Drink. Samuel P. gibt eine unglaubliche Summe für Saphiras Neo-Champagner aus, und sie gibt ihm zu verstehen, wie sehr sie sich darüber freut. Vielleicht

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