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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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deutete, »das war Ollincester. 15000 Einwohner, Leichtindustrie. Sie haben Pizzaschachteln und Bettwäsche hergestellt.« Pascal Timbery war von seinen Erinnerungen besessen, er wollte die Vergangenheit einfach nicht loslassen. Immer war er neugierig auf all die Orte, die es nicht mehr gab. Manchmal fuhren sie mit dem Buggy hinaus und begleiteten eins der Teams, hielten dort inne, wo früher das Rathaus gewesen war, und sahen sich um.
    »Hier hat es mal eine schöne Vertäfelung aus dem neunzehnten Jahrhundert gegeben. Dort hing ein Gemälde von Stanhope Forbes, und da drüben im Ratsaal gab es ein berühmtes Deckenmosaik. Hier ist eine Postkarte.« Und richtig, es gab auch eine Postkarte, die einen schäbigen Ratsaal zeigte. Pascal Timbery meinte, das sei wohl das hässlichste Beispiel für einen Raum dieser Art, das die Menschheit je gesehen habe, aber im Grunde war es ihm egal. Er wollte sich einfach nur erinnern. Sie wanderten durch die ganze nicht mehr existierende Stadt und erinnerten sich an Orte, die sie nie besucht hatten und die es nicht mehr gab. Schritt für Schritt. Nach und nach begleiteten sie immer mehr Leute, als sei es eine Andacht in einer Kirche. Dies war die Welt, in memoriam.
    Allerdings sah niemand Pascal Timbery jemals etwas essen. Die ganze Zeit nicht, mit Ausnahme von Gonzos Schokoladenriegel, den er mit einem Bissen verschlang. Jetzt kommt es mir dumm vor, aber wir haben nie weiter darüber nachgedacht. Falls wir uns jemals wunderten, dachten wir vermutlich, er hätte sich vielleicht während der Reifikation verletzt – vielleicht konnte er nicht mehr richtig schlucken, vielleicht war sein Kiefer gebrochen, und er war nicht mehr in der Lage, die Nahrung bei sich zu behalten. Vielleicht hätte er Dinge gegessen, die ein Mensch, der bei Verstand ist, normalerweise nicht isst, und schämte sich nun, in Gegenwart anderer Menschen etwas zu sich zu nehmen. Es war jedenfalls seine Sache, denn es gab eine Menge Leute mit allen möglichen verrückten Problemen, die vor der Reifikation ungewöhnlich oder sogar erschreckend gewesen wären, die aber nun mehr oder weniger gewöhnlich wirkten.
    Eines Tages konnte Larry Tusk seinen Hund nicht mehr finden. Dora war spurlos verschwunden. Überall suchte er nach ihr, rief sie und versuchte, sie mit einem Stück Keks und Käse zu locken. Der arme, dürre, kleine Hund liebte Käse, sogar den grässlichen Pamps, den sie auf der Piper 90 herstellten. Rory Grevin war damals in der realen Welt ein Käsereimeister gewesen, aber was sollte er tun, wenn die Büffel böse und Kühe nur noch eine ferne Erinnerung waren? Wenn sich sogar das Gras umdrehen und mit scharfen, kleinen Zähnen wütend nach einem schnappen konnte? Also sah sich Larry Tusk gründlich um, und als er an Pascal Timberys Zimmer vorbeikam, hörte er ein vertrautes Kläffen. Er dachte, der Hund sei dort vielleicht ohne Pascals Wissen eingesperrt. Also ging er rein. Aber da lag Pascal Timbery auf dem Bett und hatte einen großen aufgeblähten Bauch, und aus diesem Bauch drang das Bellen des Hundes heraus.
    Larry Tusk drehte durch. Es ging gar nicht in erster Linie um den Hund, sondern um dieses Ding, das aussah und redete und andere Leute umarmte wie ein Mensch, das aber offensichtlich wie eine Schlange das Maul aufreißen und seine Opfer in einem Stück herunterwürgen konnte. Pascal Timbery gab ein Geräusch von sich, als wollte er etwas sagen. Vielleicht so etwas wie: »Tut mir echt leid, dass ich deinen Hund gegessen habe«, was gut oder möglicherweise auch nicht so gut und sicherlich nicht die taktvollste Äußerung in diesem Moment gewesen wäre. Aber Larry Tusk ließ ihm gar nicht erst die Zeit, die Hundefresserei oder die Tatsache zu diskutieren, dass Pascal Timbery ein Monster aus dem Urwald gegenüber war. Das Ding mit dem riesigen Magen war fremd, und Larry Tusk hatte etwas dagegen. Er holte einfach aus, knallte Pascal Timbery einen Feuerlöscher auf den Kopf und machte damit so lange weiter, bis Pascal im Grunde nur noch ein Fettfleck war. Dann schob er die Hand in Pascal Timberys Leichnam und zog die Hündin Dora wieder heraus. Sie war mit klebrigem Kleister verschmiert und ob dieser Ereignisse äußerst unglücklich. Später fanden wir ihn in Bezirk 3, wo er sie mit kleinen Fleischstücken fütterte, die pro Stück einen Wochenlohn wert waren.
    Manchmal sehen Albträume wie Menschen aus.
    Wenigstens ging es dem Hund gut. Hunde grämen sich nicht. Dora hat es natürlich nicht gefallen,

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