Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
Vom Netzwerk:
fürchte, sie hätte sich selbst in Brand gesteckt, als sie durch den Mittelgang schreitet. Und nur Gonzos energische Versicherung, dass dem nicht so sei, hält mich davon ab, nach vorn zu stürzen und sie zu löschen.
    Assumption Soames sitzt hinten, und ich könnte schwören, dass sie insgeheim über dem bestickten Betstuhl weint. Elisabeth ist noch nicht da. Ihretwegen mache ich mir große Sorgen, bin aber auch sehr froh, dass sie nicht hier ist. Zaher Bey hat sich wieder als Freeman ibn Solomon herausgeputzt, hockt hinter einer Säule und grinst alle an. Ein paar Soldaten und Männer mit verschmierten Klamotten sitzen mitten in der Kirche und staunen, dass zwei aus ihrer Mitte so etwas Verrücktes tun. Der alte Lubitsch liest ein Gedicht vor, das er selbst verfasst hat. Es ist sehr bewegend, auch wenn niemand weiß, was es bedeuten soll, da außer Ma Lubitsch niemand Polnisch spricht. Irgendwann knien wir nieder und werden mit einem Stück bestickter Seide aneinandergebunden, dann sagt der Vikar, wir seien nun verheiratet. Das finde ich ein bisschen dürftig für einen so bedeutenden Augenblick, aber da alle klatschen und jubeln, muss es wohl wahr sein. Ich sehe mich um und erkenne, dass ich jetzt auch strahle. Ungeheuer viele Leute wollen mich umarmen. Assumption Soames hält mich auf Armeslänge, drückt einen Augenblick lang ihr winziges Gesicht an meine Brust und wünscht mir ein langes Leben in Einfachheit. Dann flieht sie, Zaher Bey folgt ihr, und das Letzte, was ich von Elisabeths Mutter sehe, ist das flatternde Ende ihres Schals in der Kirchentür.
    Die Hochzeitsnacht verbringen wir in einem leeren Haus in Cricklewood Cove. Es gibt viele davon. Die Reifikation war hier eine schlimme Zeit. Aus dem Bach kamen Biester mit trüben Augen gekrochen, und erschreckend viele Leute sind an der Kuru erkrankt. Ein paar Monate bevor der Kontakt wiederhergestellt wurde, kamen ein paar Banditen durch den Ort und verschleppten mehrere Familien zu einem unbekannten Ziel. Das Haus, in dem wir übernachten, hat keine besonders unglückliche Geschichte, denn es stand zum Verkauf, als die Große Löschung begann. Es ist kein Grab, sondern ein Häuschen mit zwei Schlafzimmern, einer winzigen Küche und einem Holzofen. Leah und ich lieben uns auf dem Sofa und fallen auf den Boden. Lachend zerrt sie mich nach oben zu einem übermächtigen Himmelbett mit rosa Spitze und schweren Vorhängen. Am nächsten Morgen kommt eine diskrete Dame von nebenan und macht uns Frühstück, um mit einem zarten, traurigen Lächeln wieder zu verschwinden.
    Am Abend kehren wir in das gigantische metallene Schneckenhaus zurück, das unser Zuhause geworden ist. Nach dem Ausflug finden wir die Piper 90 etwas eigenartig, denn wir haben sie von außen gesehen und hatten zu viel Zeit zum Nachdenken. Seit unserer ersten Ankunft hier hat sich einiges verändert. Der Laden ist gezähmt und scheint sich entwickelt zu haben, ist aber auch auf eine eigenartig beunruhigende Weise fremd geworden. Es kommt mir vor wie die blinden Flecken in den Augen, nachdem man in die Sonne geblickt hat.
    Huster geht fort.
    Am Anfang, als die Piper 90 kam und uns vor dem sicheren Tod rettete, waren wir irgendetwas zwischen einer irren Diktatur und einem beknackten Anarcho-Syndikat, eine Kooperation, die der Rettung der eigenen Haut und dem Heldentum diente. Huster (ich habe nie gehört, dass er einen anderen Namen hatte) war der Kapitän, der Pilot und der Herr auf der Piper 90. Ein grauer alter Knochen, der eine Ölbohrplattform geleitet hatte, sich mit Ingenieuren, Toleranzen, roten Markierungen und Umschlagpunkten auskannte und mit praktisch jedem gut zurechtkam. Huster war nie beim Militär gewesen, weil er als Kind irgendeine Art Fieber bekommen haben soll und deshalb untauglich war – allerdings war es die Art von Untauglichkeit, die dazu führt, dass man dreißig Stunden ohne Pause arbeiten und mit einem Bären Armdrücken spielen kann. Sein Wort war Gesetz, und die verschiedenen Erbsenzähler – die Quartiermeister – verneigten sich vor ihm und waren froh, dass es ihn gab, weil sie so erkennen konnten, welchen Wert er hatte. Aus gebührender Distanz konnten sie sogar Achtung für ihn empfinden. Auch sie hatten das Chaos überlebt und waren zufrieden damit, diese Show am Laufen zu halten und ein Teil davon zu sein. Er hatte in Zermürbungskriegen gegen Rost, Salzwasser und Sturmwinde gekämpft, gegen Säufer mit pneumatischem Werkzeug und gegen alle anderen nur

Weitere Kostenlose Bücher