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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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denkbaren Widrigkeiten. Er wusste, was funktionieren würde oder was von vornherein keine Chance hatte.
    Huster war eigentlich eine Art Botschafter, doch es war niemals klar, für wen oder bei wem. Für »uns«, nehme ich an, auch wenn sich niemand die Mühe machte herauszufinden, wer das war oder wer das nicht war. Er war eben der richtige Mann am richtigen Ort, und das war so offensichtlich, dass niemand Einwände erhob. Er gab nie Befehle und hielt auch keine Ansprachen, sondern fuhr einfach weiter und ließ uns unser Ding machen – schließlich hatte auch niemand irgendeinen Zweifel, worin die Aufgabe bestand. Und wenn einmal etwas Schwieriges anstand, ging er vom Dachgarten bis zum Maschinenraum durch die ganze Piper 90 und redete mit den Leuten. Er hatte eine Art permanenten Gemeinderat, zu dem auch einer aus unserer Gruppe gehörte (ehemalige Soldaten und Arbeiter der Ölbohrplattform), außerdem jemand aus der Zivilbevölkerung (meist eine düstere Frau namens Melody mit einem unbestechlichen Blick für Unfug) und der Bey, der die Katiris repräsentierte. Außerdem jeder, der kommen, herumhängen und reden wollte, solange er den anderen nicht auf die Nerven ging. Quippe hätte dies vielleicht eine Demarchie genannt, nur dass es eher eine Art konsultativer Absolutismus war. Sebastian hätte gemeint, es sei ganz gut für eine Generation. Aber sobald frisches Blut hinzukäme, könnte sich die Sache gegen einen wenden und einem das Gehirn auffressen – wie ein Skorpion. Worauf Quippe vermutlich eine Diskussion über die Frage begonnen hätte, ob Skorpione so etwas tatsächlich tun.
    Vor ungefähr drei Monaten beriefen sie Huster ab. Er besuchte ein Treffen am Rohr – der Ort lag vermutlich ziemlich weit hinter uns; möglicherweise dort, wo die erste Pumpe angeschlossen und der erste Abschnitt auf das erste Stück fester Erde gelegt worden war. Dort versetzten sie ihn in den Ruhestand. Eine aufgeklärtere Art des Managements sei notwendig, vor allem stärker zentralisiert, damit die Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung von einer meritokratisch verstärkten Anführergruppe synchronisiert werden könnten. Huster war zwar ein guter Vorarbeiter, besaß jedoch nicht die notwendigen Sekundärfähigkeiten, um als voll eingebundener Entscheidungsträger im Rahmen der zukunftsorientierten Eingreiftruppe mitzuwirken. Er sollte seine analytischen Fähigkeiten zwar dem Entwicklungsausschuss zur Verfügung stellen, der die Richtlinien festlegt, aber nicht mehr aufgefordert werden, seine Leitungsfunktion auf der Piper 90 fortzuführen, da diese Position jetzt Erfahrungen in globaler, holistischer, transdisziplinärer Kommunikation in pseudo-fremdfinanzierten, quasi-finanziellen Interaktionen erfordere sowie ein volles Verständnis des Managements einer großen kollektiven Einrichtung mit Bezügen zu vertriebenen Bevölkerungsteilen und der damit verbundenen Instabilität.
    Kurz und gut, Huster wurde hinausgeworfen, und unsere freundlichen Quartiermeister wurden durch eine Schar von – es gibt kein anderes Wort dafür – Bürotrotteln ersetzt. Die Anführer dieser Bürotrottel waren Hellen Fust und Ricardo van Meents, die viel zu jung und viel zu gründlich gewaschen waren, um im Leben irgendetwas erreicht und ihre Beförderung auf diesen Posten verdient zu haben. Ich bin gerade dabei, eine provisorische Systematik der Sesselpupser zu entwerfen und habe sie vorläufig als Typ C eingeordnet: jung und hungrig, spitze Ellenbogen, gewissenlos. Sie behielten Husters Gemeinderat bei, nannten ihn aber Beirat und brachten damit zum Ausdruck, dass die Mitglieder raten durften, ob ihnen überhaupt noch jemand zuhörte.
    Huster geht also weg. Der große Mann holt seine Sachen und zieht weiter. Trotz seiner Beraterfunktion wird ihn der Ausschuss ignorieren, und er hat sich seit zwei Wochen nicht mehr die Mühe gemacht, auch nur an den Sitzungen teilzunehmen. Vielleicht gibt es irgendwo da draußen eine Stadt, die ihn braucht. Vielleicht fehlt an jenem Ort namens Heyerdahl Point ein Mann, der Probleme lösen kann. Vielleicht baut er sich auch nur ein Haus, sucht sich eine Gefährtin und zeugt mit ihr ein paar ölverschmierte Hosenscheißer. Wie dem auch sei, mit der Piper 90 ist er fertig, und Gott segne sie und alle, die mit ihr fahren.
    Huster geht im Clubzimmer von Tisch zu Tisch. Eigentlich ist es kein richtiger Club und nicht einmal ein richtiger Raum. Es ist der Rumpf eines kleinen Schiffes, das als Bestandteil der tieferen

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