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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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und das wird es –, so bin ich ziemlich klebrig. Auf einmal höre ich eine überraschend ruhige und würdevolle Stimme.
    »Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«, fragt der alte Lubitsch. »Sie befinden sich auf einem Privatgrundstück. Sie sind hier nicht willkommen. Sie wurden nicht eingeladen. Sie haben Gewalt in mein Haus gebracht. Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.«
    Die fünf noch lebenden Ninjas starren ihn an. Auch ich drehe mich zu ihm um. Der alte Lubitsch steht neben seinen Bienenkörben. Genauer gesagt, er steht neben dem großen schwarzen Bienenstock, den er bei meinem letzten Besuch in Cricklewood Cove gebaut hat. Er ist hoch und seltsam geformt, hässlich sogar, während die anderen niedliche kleine weiße Häuschen sind. Offensichtlich stellt er aus der Sicht des alten Lubitsch eine Art Bedrohung dar.
    Die Ninjas sind aber anderer Meinung und kommen näher. Der alte Lubitsch zuckt mit den Achseln, greift nach oben und zieht den Deckel vom Bienenstock. Dann beweist er, dass er von allen guten Geistern verlassen ist, und versetzt dem Bienenstock einen kräftigen Tritt.
    Der Lärm, der daraufhin im großen Bienenstock entsteht, erinnert an das dunkle, warnende Brummen einer Harley Davidson. Offensichtlich wohnt dort eine Mutantenbiene. Gonzos Vater hat eine einsame, wilde, mannsgroße Biene mit Zähnen wie Rasierklingen gezüchtet. Es ist eine Wächterbiene. Jetzt halten die Ninjas inne. Der vorderste ist noch ungefähr drei Schritte von mir und Ike Thermite entfernt. Offenbar behagt ihm die Aussicht, gegen eine Riesenbiene zu kämpfen, überhaupt nicht.
    Der alte Lubitsch tritt noch einmal vor den Bienenstock. Das Ding explodiert.
    Das heißt, eigentlich explodiert es gar nicht, aber der Effekt ist einer Explosion doch sehr ähnlich. Es gibt ein Geräusch, als wäre Krieg im Himmel. Ein schwarzer Schatten fliegt über uns, als wäre das Jüngste Gericht gekommen, und rast, vom Bienenstock ausgehend, in einem Kreis herum, der uns alle einschließt. Wir spüren tausend winzige Berührungen wie einen Schauer von Kiesbröckchen. Bienen landen, sausen umher, kosten.
    Weiter sehe ich nicht zu. Die Bienen aus dem schwarzen Bienenstock – wahrscheinlich mit Afrikanischen Bienen gekreuzte Megachile Pluto – erkennen uns am Geruch des Nektarbreis als befreundete Angehörige ihres Volks, auch wenn wir komisch aussehen und nutzlos sind. Deshalb sind die Ninjas die Angreifer, auf die sie sich stürzen müssen. Das Letzte, was diese vor der Rache der Bienen noch sehen, ist der alte Lubitsch in einer Wolke aus drei Zentimeter langen Insekten, der sich ihnen mit einer Harke nähert.
    »Ihr wolltet meiner Frau was tun«, übertönt der alte Lubitsch das Brausen der Bienen.
    Als ich mich abwende, da der Tod durch Bienen grässlich und der Tod durch eine Harke auch nicht viel besser ist, sehe ich nicht seine, sondern meine Frau.
     
    Leahs Versteck befindet sich oben zwischen dem Gästezimmer und dem Wäscheschrank. Eine falsche Wand schafft dort Raum für einen Flur, der zu einem kleinen Zimmer im Giebel führt, das die Mansarde eines Künstlers sein könnte. Der alte Lubitsch hat den Unterschlupf während der Reifikation gebaut. Er und Ma Lubitsch versteckten sich dort, als Cricklewood Cove von Banditen überrannt wurde, und dann versteckten sie dort einen jungen Mann, nachdem die Banditen besiegt worden waren und die Einwohner auf die Idee kamen, verschiedene Leute aufzuknüpfen. Im Augenblick lebt Leah mit einer Familie von Katzen dort, die inoffiziell eingezogen sind. Sie meint, die Katzen seien zuerst dort gewesen. Es seien freundliche Katzen. Leah mag sie. Sie vermisst ihren Hund, aber der ist bei Gonzo. Sie ist hiergeblieben, weil Gonzo darauf bestand. Also ist sie hier und teilt sich den Platz mit La Gioconda (der Katzenmutter) und Sonnenblume, Wasserlilie, Königin (eine Anspielung auf die Anbetung der Könige) und Floh. Leah benannte die Kätzchen nach Bildern, musste aber einsehen, dass es nicht viele Gemälde gab, deren richtige Namen sie wusste. Floh wurde dagegen nicht nach einem Gemälde benannt, sondern heißt so, weil sie senkrecht in die Luft springen kann. Sie litt hier zwar unter großer Langeweile (Leah, nicht Floh), aber Gonzo bestand darauf, dass sie an einem sicheren Ort bleiben müsse. Vor wem sie dabei sicher sein soll, weiß sie nicht. Er wollte ihr nichts verraten. Die Katzen marschieren ihr morgens übers Gesicht, um sie zu wecken. Das muss schrecklich aussehen.
    »Leah«, sage ich,

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