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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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aber sie hat noch mehr zu erzählen, sie will mir wichtige Dinge anvertrauen. So hält sie kurz inne und beginnt. Nachts wird es in diesem Raum sehr kalt, deshalb ist sie froh, die Katzen bei sich zu haben. Und natürlich brauchen die Kätzchen sie auch als Schutz vor den Eulen. Eulen sind eine große Gefahr für kleine Kätzchen. Eine Eule frisst in einem einzigen Jahr mehr Kätzchen als ein Hund in zehn Jahren. Hunde jagen Katzen, aber sie fressen sie nicht. Eulen fressen einfach alles. Glücklicherweise haben die Eulen Angst vor den Mutantenbienen des alten Lubitsch, deshalb können die Kätzchen ungefährdet im Garten spielen. Leah badet sie immer mit Nektarshampoo, was sie wütend (und sehr niedlich) macht. Dann schweben die Bienen nur über ihnen, machen finstere Gesichter (nicht, dass sie wirklich finster blicken können) und lassen die Kätzchen in Ruhe. Leah hat die ganze letzte Nacht am Boden gelauscht. Heute Morgen hat sie Ringe unter den Augen, die sogar schlimmer aussehen als die morgendliche Misshandlung durch die kleinen Katzen. Sie hat zwar alles gehört, wusste aber nicht, was Gonzo getan hatte. Er verriet ihr nur, ich sei ein Neuer und aus ihm selbst entstanden, sie solle mit niemandem darüber reden. Außerdem sei ich fortgegangen. Sie weiß nicht, wie sie mit mir umgehen soll.
    Da uns nichts weiter einfällt, sitzen wir nur da und betrachten einander schweigend.
    Leah wirkt ausgelaugt. Sie bezieht ihre Kraft von den Bergen, aber vor allem von der Liebe. In der Liebe findet sie Entzücken. Die letzte Zeit hat in ihr genau den Ort verletzt, aus dem sie ihre Kraft bezieht. Instinktiv will ich sie in die Arme nehmen. Ich biete ihr meine Hand an, die sie mit großer Unsicherheit betrachtet. Wir sitzen einander gegenüber. Um sie zu nehmen, muss sie sich vorbeugen. Das tut sie auch, aber sie fasst meine Hand von außen. So weit geht sie, allerdings nicht weiter. Ihre Handfläche ist wie eine von Ike Thermites unsichtbaren Wänden. Ich will die Festung stürmen. Vielleicht gelingt es mir, vielleicht lässt sie sich darauf ein. Und was dann? Soll ich Gonzo in seinem eigenen Haus, wo seine Eltern Wache halten, hintergehen und sie ihm nehmen? »Was ist das Monströseste, was du je getan hast?« Oh, ich weiß es, ich weiß es!
    So sitzen wir einander gegenüber, bis mir der Rücken wehtut. Auf dem Boden konnte ich auch in meiner besten Zeit nie lange sitzen. In meiner Zeit in Jarndice schaffte ich es dank ständiger Übung der Formen des Stummen Drachen, ohne Aufwärmen den Lotussitz einzunehmen. Ich kam bis fast in den Seitenspagat, aber einfach auf dem Boden zu sitzen, tat mir schon damals weh. Aline hat sich immer wieder darüber geärgert. Möbel waren bürgerlich, anständige Leute hatten keine Möbel. Eine gemütliche Einrichtung war mit ziemlicher Sicherheit konterrevolutionär. (Das war die Armee, die George Copsens Regierungsmaschine so sehr fürchtete.) Als mir auch die Hüften wehtun, verändere ich meine Position, was schwierig ist, weil ich ihre Hand nicht loslassen will. Ich zucke zusammen.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ich liebe dich.«
    Schöner Mist.
    Sie starrt mich an. Na gut, dann kann ich auch aufs Ganze gehen.
    »Ich liebe dich, ich habe dich schon immer geliebt. Ich erinnere mich an deinen Brief im Krankenhaus. Ich erinnere mich, wie ich Gonzo bat, einen Ort für unser Rendezvous zu finden. Er besorgte mir einen Anzug. Du hattest dir wie durch Magie irgendwoher ein erstaunliches Kleid organisiert. Wir liebten uns die ganze Nacht in der Burg. Wenn ich Jasmin rieche, denke ich an dich, an unsere Heirat, und wie unangenehm du die Stadt fandest, weshalb Jim Hepsobah mir auch half, ein Haus in den Bergen zu finden. Ich weiß noch, wie ich dich über die Schwelle getragen habe und dabei gestolpert bin. Wir lagen nur da und lachten.« Das einzige Mal, dass ich mich auf dem Fußboden wohlgefühlt habe. Leah schüttelt den Kopf, sie windet sich hierhin und dorthin und leugnet es. Meine Hand hat sie nicht losgelassen. Wir sind im Schmerz zusammengeschmiedet. »Leah, bitte …« Aber was will ich eigentlich von ihr? Da ich es nicht weiß, entschuldige ich mich und sage ihr, dass es mir leidtut. Mein Ausbruch war unangemessen.
    Sie sieht mich scharf an und ist sich ihrer Sache sicher. Ich habe die endgültige Ablehnung besiegelt. Leah liebt einen Mann, der nie etwas Unangemessenes tun würde. Leah liebt einen Mann, der ihre Einwände beiseitegeschoben und sie in den Arm genommen hätte. Und wenn

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