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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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helfen.
    (Humbert Pistill schaltet einen Overheadprojektor ein. Das Gerät ist alt, man braucht Transparentfolien und abwaschbare Stifte dafür. Mit so einem Ding hat uns Ms Poynter im Biologieunterricht die erogenen Zonen vorgeführt. An diesen Augenblick erinnert sich Gonzo sehr lebhaft, da er häufig Gelegenheit hatte, sein damals erworbenes Wissen anzuwenden. Humbert Pistill ist dies bekannt, weil er seine Hausaufgaben gemacht hat oder weil jemand anders sie für ihn gemacht hat. Er weiß, dass Gonzo dieses Modell besonders mag. Ohne dass es ihm wirklich bewusst wird, gibt es ein Summen von sich, das Gonzo beruhigend und sogar ein wenig sexy findet. Ms Poynter war eine schöne Frau und angeblich auch eine erfahrene Liebhaberin. Einmal, während einer besonders schwierigen Prüfung, beugte sie sich herunter, um Gonzos Antworten zu überprüfen. So bekam er einen Ausblick auf etwas, das nur eine Brust sein konnte. Dieser Projektor ist also unauslöschlich mit Gonzos frühesten Orgasmen verbunden. Heute aber hat es Humbert Pistill nicht auf erogene Zonen abgesehen, sondern auf etwas ganz anderes. Er zeigt Gonzo, dass man die verschwundenen Orte als Zaun auffassen könnte, als Narbe um das Rohr und die Menschen herum, die in dessen angenehmem Dunst leben.)
    GONZO : Ich … das verstehe ich nicht ganz.
    HP : Nun, Mr Lubitsch, es sieht doch so aus. Wir haben einen Ring um die Erde gelegt, und so einen kleinen zivilisierten Bereich geschaffen, in dem wir sicher leben und Handel treiben können. Aber rings um uns existiert ein wildes Land voller Monster. Das ist Ihnen wie keinem Zweiten bewusst. Es gibt Wesen, die menschlich aussehen, und andere, die nicht so aussehen, aber sie alle wollen uns fressen. Unser Haus ist aus Ziegelsteinen gebaut, also können sie nicht einfach laut brummen und uns herauspusten. Aber sie können es mit dem Meißel abtragen. Sie können uns erwürgen. Genau das tun sie auch. Wenn wir uns zu weit vom Rohr entfernen und auch nur einen Finger ausstrecken, schneiden sie ihn ab. Der sichere Raum schrumpft, Mr Lubitsch. Es ist weit weniger Zeit dazu nötig, eine Stadt verschwinden zu lassen, als sie aufzubauen. Wir sind umzingelt, belagert. Wir verlieren.
    (Humbert Pistill ist ein besserer Redner als Dick Washburn. Er greift nicht zu rhetorischen Ellipsen und schweift nicht ab, weil ihn die schreckliche, furchtbare Sache, die er mitteilen will, mit Ehrfurcht erfüllt. Seine Ellipsen sind still. Er sagt nicht: »Und wenn wir verlieren, dann …« Er weiß, dass Gonzo ganz ähnlich denkt, und die eigenen Ellipsen sind viel überzeugender als die fremden.)
    GONZO : Das ist … also … das ist wirklich ein Problem, Mr Pistill.
    HP : Ja, Mr Lubitsch. Das ist wirklich ein Problem. Ein reales Problem in einer realen Welt. Ein Problem für Erwachsene. Deshalb habe ich auch gefragt – obwohl ich genau weiß, dass die Antwort Ja lautet –, ob wir hier alle Erwachsene sind. Denn wir müssen jetzt sehr gefasst sein. Wir haben keine Zeit für Artigkeiten. (Kurzes Schweigen)
    HP : Darf ich Sie etwas fragen?
    GONZO : Aber natürlich.
    HP : Wenn Sie etwas tun könnten – und wenn nur Sie wirklich gut dafür geeignet wären –, würden Sie es tun?
    GONZO : Ja, das würde ich tun.
    HP : Selbst wenn es im Grunde etwas Schlechtes wäre? Etwas Falsches?
    GONZO : Wie falsch denn?
    HP : Falsch. Grundfalsch. Aber … wirkungsvoll. Etwas Böses, um noch viel bösere Dinge zu verhindern.
    GONZO (überlegt): Manchmal muss man so etwas tun.
    HP : Ja, manchmal ist es nötig.
    (Kurzes Schweigen)
    HP : Aber natürlich nicht immer.
    (Humbert Pistill zieht ein Foto von Zaher Bey aus einem Umschlag und legt es zwischen ihnen auf den Tisch.)
    HP : Ich glaube, Sie kennen Zaher Bey. Er hat sein Leben den Monstern verschrieben. (Gonzo nickt.)
    HP : Die gefundenen Tausend, Mr Lubitsch. Die irrealen Leute. Sie wollen unsere Welt übernehmen und uns töten.
    (Gonzo weiß natürlich aus erster Hand, dass dies der Wahrheit entspricht – denn ich wollte ihm seine Frau nehmen.)
    HP : Ich muss mit diesem Herrn ein Wörtchen reden. Er muss zu mir kommen, damit wir über diese Situation reden können. Ich möchte in diesen Diskussionen freie Hand haben.
    GONZO : Ich verstehe.
    HP : Der Bey will meiner Einladung allerdings nicht Folge leisten. Ich habe jedoch Grund zu der Annahme, dass er es sich vielleicht noch einmal überlegt, wenn Sie ihn aufsuchen und ihn darum bitten. Ich glaube, Sie kannten ihn schon während der Reifikation.
    GONZO :

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