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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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beides.
    Neben Meister Wu sind andere Bilder zur Schau gestellt. Ein kleines kommt mir wie eine verschwommene Aufnahme von Dr. Andromas vor, daneben gibt es ein scharfes, aber viel älteres Foto von Elisabeth. Auf der anderen Seite entdecke ich Zaher Bey. Irgendjemand kann ihn auf den Tod nicht ausstehen, denn es gibt viele Fotos von ihm. Außerdem ein neues Bild von mir, das vermutlich eine Überwachungskamera in Station 9 aufgenommen hat. Ich wirke überrascht und etwas dicker, als mir lieb ist. Schließlich auch eine Aufnahme von Gonzo, der trübsinnig dreinschaut. Das Foto erkenne ich nicht, vielleicht haben sie es aufgenommen, als er hier war. Er ist ein Feind, aber irgendwie auch wieder nicht. An den rechten Rand seines Fotos wurde mit roter Tinte eine Schlangenlinie gemalt. Wie die Korrektur eines Lateinlehrers: nicht agricola, sondern agricolam. Mitten im Bild entspringt ein roter, schmieriger Strich oder ein Pfeil, der eine Problemlösung aufzeigt. Ein Entfernungs- oder Löschungspfeil. Er führt von Gonzos oberem rechtem Eckzahn bis zum linken Auge des Bey. Es ist, um den alten Begriff zu wählen, eine Fährte des Todes. Fürchte diese Linie und was sie bedeuten könnte.
    Hinter den Ausstellungsstücken steht ein Tisch, und auf dem Tisch liegt eine Akte. Sie trägt alle möglichen Stempel, die bedeuten, dass niemand sie jemals lesen darf. Oder wenn doch, dann höchstens, nachdem man sich die Augen ausgebaut hat. Ich sehe mich im Raum um, setze mich und lese.
     
    Humbert Pistill, ein Freund der gesamten Menschheit. Gewiss ist er wie ein Onkel oder gar wie ein Schulleiter aufgetreten. Gonzo, der Unruhestifter, hat insgeheim immer eine große Achtung vor Schulleitern empfunden, solange sie jemanden anders beaufsichtigten. Nicht zu vergessen, dass dies ein neuer Gonzo war, der sich nackt der Welt stellte. Seinen Zynismus und seine Nachdenklichkeit verkörperte ich, als ich viele Meilen entfernt und vermeintlich tot in Ks Airstream lag. Seine Psyche muss nach einem üblen Haiangriff an einen Taucher erinnert haben. Er hatte überlebt, aber man konnte die Knochen sehen. Sein Gehirn lief nicht auf vollen Touren, und sein Ego war verletzt. Noch schlimmer, er war von einem geheimen Schrecken erfüllt, einer Art Drei-Uhr-morgens-Qual, mit der er sich Leah im letzten Augenblick anvertraute. Und über Leah gelangte sie zu mir als ein Unterpfand seines Vertrauens und als ein Flehen um Hilfe: Er fürchtete, er habe irgendwie einen Teil seiner Fähigkeit verloren, seine Frau zu lieben. Der Held konnte Leidenschaft empfinden, aber kein häusliches Glück. Er hatte Angst, er könne auch sie verlieren, sie würde ihn hassen und müsse ihn bereits abstoßend finden. Er musste handeln, um seine Selbstachtung zurückzugewinnen und den Makel abzuwaschen.
    Gonzo war beeinflussbar. Das war auch zu erwarten. Der Plan rechnete alles ein – nur nicht mich.
    Es steht alles in der Akte.
    Der Raum, in dem Humbert Pistill Gonzo auf die Dunkle Seite lockte, war für diesen Anlass passend ausgestattet.
     
    HUMBERT PISTILL : Mr Lubitsch.
    GONZO : Mr Pistill.
    (Händeschütteln, mächtige Muskeln spannen sich, sie prüfen gegenseitig ihren Testosteronspiegel und sind zufrieden.)
    HP : Wir sind hier keine kleinen Kinder.
    GONZO : Das denke ich auch.
    HP : Ich hoffe, es geht Ihnen gut.
    GONZO (dem es offensichtlich nicht gut geht): Ja, Sir. Einwandfrei.
    HP : Allerdings habe ich ein Problem, Mr Lubitsch. Ein großes Problem. Es ist ein Problem, das eher für Sie als für mich interessant ist. Das Problem eines jungen Mannes. Ich bin ja schon ein alter Knochen.
    GONZO : Das würde ich aber nicht sagen.
    HP : Um Himmels willen, Mr Lubitsch, ich bin ein alter Knochen. Ich bin mächtig und gefährlich und alles andere als impotent. Ich habe keine Probleme damit, ein alter Knochen zu sein. Wir wollen uns nicht einreden, ich stünde in der Blüte meines Lebens. Ich bin ein alter Knochen. Okay?
    (Kurzes Schweigen)
    GONZO : Was kann ich für Sie tun, Mr Pistill?
    HP : Sie sollen sich in diesem Raum umsehen und mir sagen, was Ihnen auffällt.
    (Gonzo gehorcht und entdeckt unzählige Karten und Bilder. Drowned Cross. Miserichord. Horrisham. Templeton. Er betrachtet Orte, die verschwunden sind. Noch nie hat er sie auf diese Weise verteilt gesehen. Offensichtlich bilden sie ein regelmäßiges Muster um das Rohr herum.)
    HP : Nun, was sehen Sie, mein Sohn?
    GONZO : Ich bin nicht sicher. Die verschwundenen Orte.
    HP : Ich will Ihnen auf die Sprünge

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